Interview mit Dr. Simone Artz

Interview: Physikerinnen mit Auslandserfahrungen: März - Juni 2001:

Mit  sprach 

Dr. Simone Artz 
Laboratory of Physics 
Helsinki University of Technology
HUT
Finland
i

Dr. Johanna Lippmann
Columbia University
New York, USA.
http ://www.ldeo.columbia.edu/~lippmann/

 

Johanna(1):
Simone, Du hast zunächst in Deutschland Physik studiert und dann Deine Diplomarbeit in Schweden durchgeführt. Heute lebst Du in Finnland. Was machst Du, eine offensichtlich Nordeuropa-begeisterte!, heute beruflich, was ist Dein Forschungsschwerpunkt?  (Diese Frage ist als Rahmen gedacht, bevor es zurück zu den Details und in die Zukunft geht...)

Simone(1):
Johanna, ja ich habe zunächst in Bonn studiert, dort meine Diplomprüfungen abgelegt und bin dann zur Diplomarbeit nach Stockholm gegangen - die Arbeit wurde allerdings von einem Professor in Bonn mitbetreut und auch dort verteidigt. Nach meiner Rückkehr aus Stockholm habe ich in Bonn promoviert und bin dann für drei Jahre als Postdoc nach Halle/Saale gegangen. Seit November 1998 bin ich mit meiner Familie in Helsinki.

Von September 1999 bis Juni 2000 war ich mit unserem zweiten Kind im Erziehungsurlaub.
Ich bin in der Theoretischen Physik ( Statistische Physik) tätig. Mein, von der DFG gefördertes, Forschungsprojekt, das ich im Juli 2000  begonnen habe, lautet: "Suszeptibilität und Altern von gerichteten Polymeren in ungeordneten Systemen".
Mein Mann ist auch Physiker, und wir  versuchen  unsere gemeinsame Vorliebe für den Norden mit unseren beruflichen und familiären Interessen zu verbinden, was uns bisher glücklicherweise ganz gut gelungen ist.

Johanna(2):
Für die Diplomarbeit - wie hast Du den Kontakt ins Ausland aufgebaut?  War es ein Austauschprogramm der Uni Bonn oder der Uni in Schweden? Hatte Dein Prof die Kontakte? Kanntest Du jemanden, die/der zuvor in Schweden war? Die Bafög Finanzierung, war das ausreichend oder bist Du sonst noch unterstützt worden? Hast Du gejobbt? Und: Kannst Du jetzt schwedisch?

Simone(2):
Als mein Mann (Torsten) und ich uns im Studium (Ende des 1. Semesters) kennenlernten stellten wir, zu unserer großen Überraschung, fest, daß wir  beide an der Volkshochschule Schwedisch gelernt hatten. Welch ein Zufall!
Im Laufe unseres Studiums entstand  der Gedanke, doch einmal ins Ausland zu gehen. (Ein Freund von uns war nach dem 6. Semester nach England gegangen.) Aber nach England oder USA wollen die meisten, also warum nicht unsere Sprachkenntnisse nutzen und nach Schweden gehen? Inzwischen hatten wir auch Schwedisch an der Uni studiert. Wir dachten außerdem, es könnte einfacher sein, dafür eine Förderung zu bekommen, denn als Physikstudent nach Schweden zu gehen, das ist sicher ungewöhnlich. Ich glaube, von der Schwedischlektorin an der Uni erfuhren wir dann die Adressen der Unis in Schweden, an denen man Physik studieren kann. Wir schrieben alle an, schilderten unsere Situation, daß wir nach dem 8. Semester Diplomprüfungen machen wollten und dann zur Diplomarbeit für ein Jahr nach Schweden kommen wollten.
Wir begannen sicher nach dem 5. Semester mit diesen Vorbereitungen. Wir hatten uns noch nicht auf ein Arbeitsgebiet festgelegt, sondern fragten recht allgemein nach einem Projekt in angewandter oder theoretischer Physik.
Torsten beantragte ein Stipendium beim DAAD und ich nahm Kontakt zum Bafögamt auf. Bis dato bekam ich nicht den Höchstsatz aber für eine Auslandsförderung lagen die Freibeträge der Elterneinkommen höher. Außerdem gab es einen Auslandszuschlag. Es war damals (1989) sehr leicht, dieses Auslandsbafög zu bekommen, da es nicht sehr bekannt war und kaum jemand die Möglichkeit nutzte. Wie die Lage heute ist, weiß ich leider nicht. (Positiv zu erwähnen ist, daß die Zeit im Ausland nicht auf die Förderungshöchstdauer angerechnet wurde, sowie der Betrag sozusagen als Stipendium vergeben wurde, während zu dieser Zeit das Bafög als Volldarlehen vergeben wurde.)
Wir bekamen sehr nette Antworten von den Studienberatern aus Göteborg und Stockholm. Wir entschieden uns dann für Stockholm. Einige Monate vor Antritt des Auslandsaufenthalts reisten wir nach Stockholm um persönlichen Kontakt zur Arbeitsgruppe aufzunehmen und um uns um Wohnung etc. zu kümmern.
Obwohl wir nicht als Studenten eingeschrieben waren, war es möglich eine Studentenwohnung zu bekommen.
Nachdem unsere Pläne (Projekt in einer Theoriegruppe) feststanden fragten wir, nach unseren Diplomprüfungen, einen der Theorieprofessoren in Bonn, ob er unsere Diplomarbeiten mitbetreuen wolle, dann stellten wir noch einen formlosen Antrag an das Prüfungsamt (hätte man natürlich besser vorher gemacht, aber glücklicherweise ging alles gut).

Mit der Sprache hatten wir keine Probleme in Schweden.
Es gibt die Regel an den Unis, daß, wenn ein Nichtschwedischkundiger an einer Vorlesung teilnimmt, diese in Englisch abgehalten werden sollte (betrifft natürlich hauptsächlich Spezialvorlesungen). Die Diskussionen mit unserem Betreuer fanden meist auf Schwedisch statt und wenn es Verständnisschwierigkeiten gab, konnte man zu Englisch wechseln.

(Vielleicht sollte ich noch erwähnen, daß es so etwas wie eine Diplomarbeit in Schweden nicht gibt. Das war so zusagen das einzige Problem unseren Betreuern zu erklären, welchen Umfang die Arbeit haben sollte. In einen kurzen e-mail-Wechsel einigten sich die Betreuer in Schweden und der Prof in Bonn darauf, daß nach einen Jahr etwas publizierbares herauskommen sollte. Das ist natürlich nicht immer präzise voraus zu sehen und so dauerte das Projekt dann auch 1,5 Jahre. Glücklicherweise war es möglich eine Verlängerung vom Bafögamt zu bekommen.)
Noch heute haben wir Kontakt zu unseren Betreuern und einigen Kommilitonen.

Johanna(3):
Für die Doc-stelle in Halle, war es da schon ein spezieller Vorteil, zuvor Auslandserfahrung gesammelt zu haben?

Simone(3)
Man wird natürlich flexibler, aber ich denke, bei der Entscheidung, mir die Stelle zu geben, hat es keine Rolle gespielt.
Da war eher entscheidend, daß Torsten zu der Zeit in Halle noch mit seiner Promotion beschäftigt war und wir gerade einen kleinen Sohn bekommen hatten und der Professor, bei dem ich mich beworben hatte (Ausschreibung in  den Physikalischen Blättern), gerne etwas gutes für eine junge Familie tun wollte!! (In der ehemaligen DDR war es glücklicherweise völlig normal, daß Frauen auch mit kleinen Kindern arbeiten, und es gibt genügend Kinderbetreuungsplätze.)

Johanna(4):
Was waren Deine Beweggründe, nach Finnland zu gehen (kannst Du jetzt auch Finnisch?) und dort eine Post-doc stelle anzutreten? Neugier auf ein weiteres, spannendes nordisches Land, ein speziell dort angebotenes Wissenschaftsgebiet? Eine gute Stelle (renommiertes Institut)? Private Gründe?

Simone(4):
Nachdem wir, nach unserer Zeit in Stockholm, drei Jahre (während unserer Promotionen in Halle und Bonn) getrennt gelebt hatten, wollten wir, dann ja auch mit Kind, dies nicht gerne wiederholen. Eigentlich war die Idee, daß wir uns in der Auswahl der Orte abwechselten, aber es ergab sich, daß Torsten nachdem er seine Promotion beendet hatte (er hatte zwischendurch Erziehungsurlaub) an der Reihe war, sich eine Postdocstelle zu suchen. Die Wahl fiel recht schnell und fast zwingend auf Helsinki (renommierte Arbeitsgruppe in einem seine Arbeit ergänzenden Gebiet; neben unsere Vorliebe für den Norden).
Er bekam ein Marie Curie Stipendium der EU. Ich blieb bis zum Ende meines Zeitvertrags mit unserem Sohn in Halle. Nach der Promotion hatte ich schon einmal Kontakt zu einer Arbeitsgruppe in Helsinki aufgenommen (guter Freund meines Doktorvaters in Bonn) Hätte auch damals schon nach Helsinki gehen können, bin aber dann aus o.g. familiären Gründen nach Halle gegangen.
Nun wandte ich mich wieder an diesen Professor und wir überlegten uns ein Projekt, für das ich dann einen DFG Antrag stellte. Bis dato hatte ich mich auf recht verschiedenen theoretischen Gebieten bewegt (Anyons und QHE in Stockholm, Quantenspinketten in Bonn, Dynamisches Isingmodell (Statistische Physik) in Bonn).
Das Projekt wäre ein gewagter Schritt in Richtung Hochenergiephysik gewesen. Es ließen sich jedoch Verbindungen zu meinen bisherigen Arbeiten ziehen.
Die DFG fand dies vielleicht doch etwas weit hergeholt und lehnte den Antrag ab, teilte mir jedoch sehr freundlich mit, daß es auch Statistische Physik-Gruppen in Helsinki gäbe, wenn es nun gerade dieser Ort sein sollte.
Trotz der Ablehnung des Antrags im Herbst 1998 sind wir z.T. umgezogen. Die Wohnung in Halle behielten wir noch, denn meine Stelle war dort noch einmal verlängert worden. So bin ich noch eine Weile zwischen Halle und Helsinki gependelt. Unser Sohn (nun 3,5 Jahre alt) begann im schwedischen Kindergarten. Aber es war kein besonders zufriedenstellender Zustand.
Also entschloß ich mich, zu kündigen und mich in Helsinki nach einer  anderen Arbeit umzusehen (z.B. Nokia), aber soweit kam es gar nicht. Sondern ich fand glücklicherweise in Torstens Institut eine gute Arbeitsgruppe in statistischer Physik. Sie beschäftigt sich mit numerischen Simulationen ähnlicher Modelle, die ich zuvor analytisch bearbeitet hatte.
Hier in Finnland  wurde mir gleich ein Stipendium gewährt für die Zeit, in der ich einen neuen DFG Antrag u.a. schrieb. Diesmal ließ sich der Antrag auf ein Forschungsstipendium der DFG gut begründen und wurde umgehend genehmigt.
Kurz nachdem ich die Zusage erhielt, wurde unsere Tochter geboren. Glücklicherweise gibt es die Möglichkeit das DFG Stipendium bis maximal ein Jahr aufzuschieben, so daß ich die Zeit mit Baby zu Hause genießen konnte. Denn ich hatte bei der Geburt unseres Sohnes schon nach 2 Monaten mit der Postdoc Stelle begonnen - damals konnte ich mir das gar nicht anders vorstellen.
Vom finnischen Staat bekommt man freundlicherweise recht hohes Mutterschaftsgeld für 10 Monate, wenn man vorher steuerpflichtig in Finnland gearbeitet hat. (Wenn nicht, dann ist der Betrag trotzdem ganz nett.)
Finnisch habe ich leider nicht gelernt (bzw. nur sehr bruchstückhaft). Aber im Prinzip ist Finnland zweisprachig und man sollte(!) auch alles auf Schwedisch erledigen können. Bzw. hier in Helsinki spricht eigentlich jeder(!) Englisch.

Johanna(5):
Nochmal zur Finanzierung. War es wichtig für Dich zu wissen, was jeweils nach dem Auslandsaufenthalt kommt? Thema: befristete Stellen? Ist diese Frage nicht gerade besonders wichtig, da Du eine Familie hast?

Simone(5)
Wie schon gesagt, während des Auslandsstudiums (innerhalb der Regelstudienzeit) war die Finanzierung durch Auslandsbafög gegeben. Und nun in Finnland zuerst durch ein Stipendium des Helsinki Institute of Physics (HIP) und später durch ein Forschungsstipendium der DFG.

Inzwischen sind wir es gewöhnt, immer nur befristetet Stellen oder Stipendien für ein Jahr zu haben. Bisher ging es immer irgendwie weiter und wir machen uns keine allzu großen Sorgen.
Ein bißchen haben wir auch zurückgelegt, so daß man sogar ein paar Monate ohne Anstellung überstehen würde, bzw. in Deutschland scheint es zur Zeit nicht besonders schwierig zu sein, im IT Bereich einen Job zu bekommen - wenn es denn unbedingt sein müßte.

Johanna(6):
Kannst du einen Vergleich ziehen zu "Vereinbarkeit/Akzeptanz von Wissenschaft mit Kind/Familie in Finnland" zu der Situation in Deutschland?

Simone(6)
Ich hatte/habe das große Glück, jeweils in Gegenden zu arbeiten, wo es normal ist, daß Frauen auch mit kleinen Kindern arbeiten. Das heißt, daß dort auch die nötigen Voraussetzungen zur Kinderbetreuung bestehen. Außerdem hatte ich Glück mit meinen Arbeitgebern, die Verständnis dafür haben, daß ich an manchen Nachmittagen um 16 Uhr gehen muß, um die Kinder abzuholen (Torsten und ich wechseln uns meistens ab.)
Last but not least habe ich einen Mann, für den Gleichberechtigung in allen Dingen das höchste Prinzip ist.

Johanna(7):
Siehst Du es als ein Problem an, im Ausland mit der deutschen Wissenschaftsgemeinde in ausreichend engem Kontakt zu bleiben - diesen Kontakt aufzubauen/zu pflegen? Möchtest Du langfristig wieder zurück nach Deutschland?

Simone(7):
Ich denke, durch e-mail und Konferenzen etc. ist es kein Problem, in Kontakt zu bleiben. Gerne würden wir weiter durch die Welt reisen, aber unser Sohn wird dieses Jahr schulpflichtig, was natürlich unsere Entscheidung beeinflußte. Wir möchten nicht, daß er die Schule zu oft wechseln muß (aus Bonn kommend kennen wir das Dilemma der Diplomaten- und Beamtenkinder, die an keinem Ort heimisch geworden sind), außerdem bleibt das Problem der Sprache. Inzwischen spricht er fließend Schwedisch, geht in einen schwedischen Kindergarten, wie übrigens inzwischen auch seine kleine Schwester. (Schwedisch ist viel einfacher zu lernen als Finnisch).
 

Johanna(8):
Hast Du ein langfristiges Ziel? Eines hast Du ja schon angesprochen: Förderung durch die DFG, d.h. weiterforschen in 2001... Ich denke mir, die Vereinbarung von Familie und Beruf ist mittelbar eine absolute Herausforderung... eine enorme Leistung - Hut ab!

Simone(8)
Inzwischen hat Torsten eine Habilstelle in Bonn angetreten. Zum 1.7.2001 ziehen wir alle nach Bonn. Ich habe eine sehr gute Arbeitsgruppe gefunden, in der die Fortsetzung meines jetzigen Projekts möglich ist, und habe die Verlängerung meines DFG-Stipendiums beantragt. In Bonn wird es schwierig mit der Kinderbetreung, deshalb werden wir ein schwedisches au-pair Mädchen haben, so dass die Kinder ihre Sprachkenntnisse nicht vergessen.

Konkrete langfristige Pläne zu machen liegt mir nicht. Bisher hat sich alle ganz gut ergeben. Wollen wir auf das Beste für die Zukunft hoffen.