DPG-Positionspapier zur Zukunft des wissenschaftlichen Publikationswesens

Die Deutsche Physikalische Gesellschaft (DPG) vertritt beim wissenschaftlichen Publikationswesen das Ziel, Forschungsergebnisse universell zugänglich zu machen, innovative und qualitätssichernde Publikationsmodelle zu fördern und eine transparente Kostenstruktur herzustellen.

Um die Freiheit der Wissenschaft zu realisieren und zu maximieren, soll das anzustrebende Publikationswesen „von Wissenschaftlern für Wissenschaftler“ geformt werden: Entscheidungskompetenz und Verantwortung sollen wieder stärker von den Forschenden übernommen werden. Wichtig hierfür ist, dass die wissenschaftliche Gemeinschaft ihrer Verantwortung nachkommt, angemessene Publikationsweisen für Forschungsergebnisse zu wählen und Entscheidungen zu Projekten und Karrieren nicht aufgrund mittelbarer bibliometrischer Kennzahlen, sondern durch direkte inhaltliche Bewertungen zu treffen.

Angesichts des Umfangs und der Dynamik gegenwärtiger Entwicklungen im wissenschaftlichen Publikationswesen sieht die DPG es als ihre Aufgabe an, mit diesem Positionspapier die Sicht praktizierender Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler in wichtigen Eckpunkten zusammenzufassen.

Allgemeine Zugänglichkeit (Open Access)

Die Physik hat die „Tradition“ von Open-Access-Formaten entscheidend mitentwickelt, nicht nur über den Preprint-Server arXiv, sondern z. B. auch durch das von IOP und DPG gestartete New Journal of Physics. Um eine freie Zugänglichkeit von Forschungsergebnissen zu gewährleisten, schlagen wir vor, eine allgemeinzugängliche Archivierung der last submitted version eines Artikels als dessen Open-Access-Version anzuerkennen, um so mit geringen Kosten die Zugänglichkeit von Forschungsergebnissen von Verhandlungen mit Verlagen weitestgehend zu entkoppeln. Zu den möglichen Finanzierungsmodellen von Open Access stellen wir fest:

  • Eine Situation, in der das gegenwärtige Subskriptionsmodell im Wesentlichen beibehalten wird und durch zusätzliche Kosten ergänzt wird, welche die Autorinnen und Autoren für Open Access zu entrichten haben, lehnt die DPG ab.
  • Ebenso sind „Festpreismodelle“, in denen Open-Access-Artikel im Wesentlichen pauschal mit Beträgen vergütet werden, nur als Übergang zu einem transparenten, kostenrealistischen Modell (s.u.) zu rechtfertigen, es sei denn, sie werden in Verhandlungen mit der Wissenschaftsseite auf Augenhöhe regelmäßig kostenrealistisch angepasst.
  • Die Forschungsförderung soll Finanzierungsmodelle unterstützen, welche stabile Rahmenbedingungen für nicht-kommerzielle Plattformen bietet, welche sowohl für Autorinnen und Autoren als auch für Lesende kostenlos nutzbar sind.

Kosten- und Datentransparenz bei Verlagen

Um eine Transparenz der tatsächlichen Kosten und der Verwendung von Daten zu gewährleisten sind folgende Rahmenmaßnahmen notwendig:

  • Realistische Kosten: die Preise für die verschiedenen Leistungen der Verlage müssen mit Blick auf best practise zu rechtfertigen sein.
  • Unbundling: Es muss klar offengelegt werden, wofür wieviel bezahlt wird, um zu verhindern, dass Angebote (z.B. Teile eines Zeitschriftenpakets oder die Bereitstellung von Metadaten) durch nichttransparente Preisstrukturen überteuert angeboten werden. Insbesondere Vereinbarungen zwischen den finanzierenden Institutionen und den Verlagen müssen öffentlich zugänglich sein.
  • Bibliometrische Rohdaten sollen von allen Verlagen allgemein zugänglich gemacht werden, um den Markt für deren Analyse zu öffnen.
  • Intransparentes Harvesting und Weiterverkauf von Nutzerdaten durch die Verlage darf nicht stattfinden.

Die DPG begrüßt in diesem Sinne die Strategie gegenwärtiger transformative agreements wie DEAL, wobei der gegenwärtige Stand nicht als Endergebnis, sondern vielmehr als ein Zwischenschritt zu notwendigen strukturellen Reformen anzusehen ist.

Absenkung der Eintrittsschwelle für neue Akteure und Modelle im Publikationswesen

Märkte mit nur wenigen oder gar nur einem dominanten Akteur sind aus Wettbewerbsgesichtspunkten inhärent problematisch. Ein zentrales Ziel aller Reformen muss sein, innovativen Kräften einen fairen Marktzugang zu gewähren. So dürfen rein historisch gewachsene Vor- und Nachteile – wie das Vorhandensein eines back catalogs als Verhandlungsmasse oder das Fehlen bibliometrischer Kenngrößen neuer Publikationen – nicht dazu führen, den Markteintritt für letztere unbillig zu erschweren.

Weiteres Ziel von Reformen ist, die Asymmetrie zwischen Verlagen und einzelnen Forscherinnen und Forschern zugunsten Letzterer zu verschieben. So ist im Rahmen einer best practise die Reichweite und Exklusivität von Lizenzen zu begrenzen, und stark unausgewogene Klauseln, welche zum Beispiel Haftungsrisiken zu Lasten der Autorinnen und Autoren verteilen, sind zu ächten.

Diese Ziele sollen nicht mit detaillierten Vorgaben erreicht werden, und wir erwarten von forschungsfördernden Institutionen nicht, konkrete Modelle als verpflichtend zu deklarieren. Vielmehr soll die Entwicklung eines Rahmens befördert werden, innerhalb dessen Freiheit, Innovation und Wettbewerb florieren können.

Aufgaben der wissenschaftlichen Gemeinschaft

Rolle und Profitabilität der Wissenschaftsverlage werden in Teilen der wissenschaftlichen Gemeinschaft kritisch beurteilt. Insbesondere wird der erhebliche Einfluss auf forschungsinhaltliche und karriererelevante Entscheidungen von Editorinnen oder Editoren kritisiert, die weder aktiv in der Wissenschaft sind noch dieser Aufgabe verpflichtet sind. Es dient nicht der Wissenschaft, wenn einerseits fachfremde Personen entscheiden, welche Artikel begutachtet werden, und andererseits die Reputation der betreffenden Zeitschriften (z.B. gemessen an einem impact factor) und nicht die Qualität der Artikel selbst bei Drittmittel- und Berufungsverfahren Berücksichtigung findet. Es ist allein Aufgabe der Gemeinschaft der Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler, sich hierzu zusammen mit der Forschungsförderung zu positionieren, und ggf. solche Reputationskriterien u. a. aus Berufungsverfahren und Leistungsbewertungen zu eliminieren. Dies ist nicht Aufgabe der Verlage, welche bestimmte Zeitschriften erfolgreich als starke Marken etabliert haben. Insbesondere eine Berücksichtigung mittelbarer Kenngrößen wie des impact factors ist in diesem Zusammenhang prinzipiell abzulehnen.

Gleichzeitig ist es Aufgabe der wissenschaftlichen Gemeinschaft zu hinterfragen, inwieweit sie sich an „kaskadierten“ Verlagsmodellen (dem „Durchreichen“ von Manuskripten zu Journalen niedrigerer Reputation) beteiligen wollen, und so dazu beitragen, die Marktmacht der Verlage mit den prominentesten Titeln bis tief in den Markt auszudehnen.

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Dieses Positionspapier der Deutschen Physikalischen Gesellschaft (DPG) wurde vom DPG-Vorstandsrat am 13. November 2021 verabschiedet.

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