Zusammensetzung von abgebranntem Kernbrennstoff eines typischen Leichtwasserreaktors. Die Minoren Aktinide3 Am und Cm zählen zum Wärme entwickelnden radioaktiven Abfall, der derzeit endgelagert wird (links). Halbwertszeiten und relative Menge der wichtigsten langlebigen Isotope schwerer Elemente (rechts).

Transmutation von radioaktivem Abfall

Ausgabe 14 | November 2012 | „Das Beispiel Transmutation zeigt eindrucksvoll, welches Potential die Grundlagenforschung – hier die Beschleunigertechnologie – zur Lösung gesellschaftlicher Herausforderungen birgt.“ - Johanna Stachel, Präsidentin der Deutschen Physikalischen Gesellschaft

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Abgesehen von der Betriebssicherheit (die hier nicht Gegenstand ist), ist die Radiotoxizität des abgebrannten Brennstoffes ein ernstes Problem bei der Nutzung von Kernenergie. Einige Komponenten dieses „Atommülls“ strahlen noch nach einer Million Jahre (vgl. Abb. 1) und müssen daher sicher gelagert werden 1. Nach der Abtrennung des wertvollen, rezyklierbaren Materials, könnte „Transmutation“ den Müll entschärfen und dabei sogar weitere Energie liefern. Transmutation ist die Umwandlung von chemischen Elementen (genauer: von deren Isotopen). Die umgewandelten Isotope besitzen andere Eigenschaften – sie könnten z. B. deutlich schneller zerfallen, also „kürzer strahlen“ – als der ursprüngliche „Atommüll“. Hochrechnungen wie in [A] zeigen, dass mithilfe der Transmutation die Radiotoxizität nach ein paar hundert Jahren sogar unter das Niveau natürlicher Uranvorkommen sinken könnte (s. Abb. 2). Kernpunkt ist die Umwandlung der Minoren Aktinide in stabile bzw. kurzlebige Spaltprodukte, die dann vorwiegend die Radiotoxizität des Mülls bestimmen.

Die für die Transmutation nötigen schnellen Neutronen könnten in einem kritischen, nicht-moderierten Reaktor hergestellt werden. Ein solcher Kernreaktor wäre in der Lage, große Teile seines eigenen Mülls direkt zu transmutieren und würde dabei sogar zusätzliche Energie erzeugen, wie funktionierende Prototypen bereits zeigten. Nach dem Atomausstieg kommt diese Technologie für Deutschland aber nicht mehr in Frage. Die radioaktive Hinterlassenschaft der hiesigen Atomkraftwerke könnte aber mit schnellen Neutronen behandelt werden, die nicht aus einem kritischen Reaktor, sondern aus einem Teilchenbeschleuniger kommen. Hier schlagen beschleunigte Protonen schnelle Neutronen aus einem sog. Target heraus (ADS2 ). Diese wiederum spalten einen langlebigen Kern (z. B. Americium) in zwei leichtere Kerne. Der schematische Aufbau eines solchen ADS ist in Abb. 3 dargestellt.

Europäische Forscher haben im letzten Jahrzehnt große Anstrengungen zur Entwicklung der ADS-Technologie unternommen [B]. Wichtige Fragen zur Konzeption des erforderlichen Teilchenbeschleunigers und des Mutationsreaktors konnten soweit geklärt werden, dass nun ein Demonstrations-ADS in Betrieb genommen werden soll. Dazu schlägt das belgische Forschungszentrum SCK-CEN das MYRRHA-Projekt [C, D] vor, das auf den Erfahrungen eines Vorgängermodells GUINEVERE [E, F] aufbaut. Erste Studien zeigen, dass industrielle ADS-Anlagen etwa den abgebrannten Brennstoff von je 20 durchschnittlichen Kernkraftwerken transmutieren könnten. Auf dem Weg vom Demonstrationsmodell zur großtechnischen Anwendung sind noch zahlreiche Herausforderungen zu bewältigen. Die Richtung scheint aber vielversprechend: Die Transmutationstechnologie könnte entscheidend dazu beitragen, den Platzbedarf der nötigen Endlager (Größe/Anzahl) für hochaktive Abfälle um den Faktor 10 bis 50 zu reduzieren [G].


 

Fußnoten:

1. Gesamtanfall endzulagernder Wärme entwickelnder, radioaktiver Abfälle nach dem neuen Energiekonzept beträgt in Deutschland 29.030 m³ [H].

2. ADS (Accelerator Driven System) = Beschleunigergetriebenes System

3. Als Aktinide oder neuer Actinoide („Actiniumähnliche“) werden die 14 Elemente bezeichnet, die im Periodensystem auf Actinium folgen. Minore Aktinide sind Aktinide mit, im Vergleich zum Plutonium-239, wesentlich geringeren Aktivitäten.

⇒ Zusatzinformationen

 

Die Deutsche Physikalische Gesellschaft dankt ihrem Autor Alex C. Mueller