Vergleiche zwischen Ytterbium- und Cäsium-Atomuhren bestätigen die Konstanz der Naturkonstanten. (Quelle: Nils Huntemann, PTB)

Auf der Suche nach „neuer Physik“: Tests des Standardmodells im Labor

Ausgabe 63 | Oktober 2022 | „Modernste Quantentechnologie ermöglicht Laborexperimente mit zuvor ungeahnter Präzision auf den Spuren ‚neuer Physik‘.“ Joachim Ullrich, Präsident der Deutschen Physikalischen Gesellschaft

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  • Es gibt klare Hinweise auf eine „neue Physik“, jenseits des sehr erfolgreichen Standardmodells der Teilchenphysik.
  • Laborexperimente könnten aufgrund rasant zunehmender Präzision schon bald Spuren davon finden.
  • Eines der vielversprechendsten Werkzeuge für diese Suche sind Atomuhren.

Die beeindruckende Entwicklung der Physik in der Neuzeit erreichte einen weiteren Meilenstein Mitte der 1970er Jahre, als das Standardmodell der Teilchenphysik seine endgültige Form annahm. Diese moderne Theorie beschreibt erfolgreich alle bekannten Elementarteilchen sowie drei der vier fundamentalen Kräfte der Natur: die elektromagnetische, schwache und starke Wechselwirkung. Trotz dieser Erfolge, die durch die Entdeckung des Higgs-Bosons1 gekrönt wurden, ist das Standardmodell nicht in der Lage, einige grundlegende Eigenschaften des Universums zu erklären: zum Beispiel, warum im Universum die Materie gegenüber der Antimaterie dominiert. Die Vereinheitlichung der Gravitation mit den anderen drei fundamentalen Kräften zu einer „Theorie von allem“ sowie die Suche nach der ominösen „Dunklen Materie2 “ bleiben ebenfalls ungelöste Herausforderungen.

Das alles deutet auf eine „neue Physik“ jenseits des Standardmodells hin! Heiße Spuren dieser neuen Physik wären Effekte oder Teilchen, die im Rahmen des Standardmodells nicht vorhergesagt werden können. Eine kostengünstige Fährtensuche, zusätzlich zur Nutzung großer Beschleunigeranlagen wie dem Large Hadron Collider, sind Experimente der atomaren, molekularen sowie optischen Physik, die bei niedrigeren Energien und mit extremer Präzision durchgeführt werden. Solche Messungen wurden erst dank der außerordentlichen Fortschritte bei der Quantenkontrolle von Materie und Licht in den vergangenen Jahren möglich und werden immer präziser.

Eines der vielversprechenden Werkzeuge für diese Suche sind Atomuhren. Die besten Instrumente haben eine solche Präzision erreicht, dass sie, wenn sie während des Urknalls vor 13,8 Milliarden Jahren gestartet worden wären, heute nur um eine Sekunde falsch gehen würden! Effekte einer neuen Physik wie Spuren von Dunkler Materie, sich verändernde Naturkonstanten oder die Verletzung grundlegender Symmetrien von Raum und Zeit könnten durch den Vergleich des „Tickens“ verschiedener Atomuhren aufgespürt werden.

So konnte in einem kürzlich abgeschlossenen Frequenzvergleich gezeigt werden, dass die Grundkonstanten der Natur3, die auch für die Definition des Internationalen Systems der Einheiten (SI) genutzt werden, tatsächlich konstant sind, bzw. sich über ein Jahr maximal in der 18ten Stelle hinter dem Komma verändern! Der Vergleich mehrerer über große Distanzen vernetzter Uhren wurde auch für die Suche nach „Klumpen“ Dunkler Materie genutzt, von denen man annimmt, dass sie an der Erde vorbeiziehen und die Uhren wegen Einsteins allgemeiner Relativitätstheorie anders ticken lassen.

Auch wenn diese Experimente noch keine Signale der Dunklen Materie gefunden haben, sind sie überaus erkenntnisreich, da sie den Parametern der Theorien zur Dunklen Materie engere Grenzen setzen.

Lässt man die Elektronen der Atomuhren senkrecht zueinander schwingen oder schließt Licht in senkrecht zueinander ausgerichteten Resonatoren ein, gibt der Vergleich der jeweiligen Frequenzen Aufschluss darüber, ob der Raum in allen Richtungen gleich – also isotrop – ist. Dieser sogenannte Test der Lorentz-Symmetrie, wie auch die Frage nach der Konstanz von Naturkonstanten sind wichtige Prüfsteine für die Relativitätstheorie und das Standardmodell der Teilchenphysik.

Die oben genannten Experimente sind nur einige Beispiele für Niedrigenergietests des Standardmodells. Bislang hat allerdings keine Untersuchung Abweichungen von den Vorhersagen des Standardmodells gefunden. Dank weiter rasant zunehmender Genauigkeit erwarten die Physikerinnen und Physiker jedoch in naher Zukunft, Signale einer neuen Physik in derartigen „Table-Top“-Experimenten beobachten zu können.

 


Fußnoten

1. Siehe Physikkonkret Nr. 62: Zehn Jahre Entdeckung des Higgs-Bosons

2. Siehe Physikkonkret Nr. 16: Dunkle Materie in der Milchstraße

3. Siehe Physikkonkret Nr. 34: Naturkonstanten als Maß aller Dinge

 

Zusatzinformationen

1. Al+ Quantum-Logic Clock with a Systematic Uncertainty below 10−18 S. M. Brewer, et al., Phys. Rev. Lett. 123, 033201 (2019)

2. Improved Limits for Violations of Local Position Invariance from Atomic Clock Comparisons R. Lange, et al., Phys. Rev. Lett. 126, 011102 2021

3. Search for transient variations of the fine structure constant and dark matter using fiber-linked optical atomic clocks B. M. Roberts, et al., New J. Phys. 22 093010 (2020)

4. Optical clock comparison for Lorentz symmetry testing C. Sanner, et al., Nature 567, 204 (2019)

5. Rotating optical cavity experiment testing Lorentz invariance at the 10−17 level S. Herrmann, et al., Phys. Rev. D 80, 105011 (2009)

6. Search for new physics with atoms and molecules M.S. Safronova et al., Rev. Mod. Phys. 90, 025008 (2018)

7. Low-energy Tests of Fundamental Physics D. Budker, European Review 26, 82 (2018)

 

Die DPG dankt den Autoren Andrey Surzhykov von der Physikalisch Technischen Bundesanstalt (PTB) und Dmitry Budker vom Exzellenzcluster PRISMA+ der Johannes Gutenberg-Universität Mainz.