18.03.2009

Pressemitteilung

des IFW Dresden, der TU Dresden und der Deutschen Physikalischen Gesellschaft

Dresden erwartet physikalischen Mammutkongress

5.000 Fachleute diskutieren über Festkörperphysik sowie über bio-physikalische und sozio-ökonomische Phänomene

Dresden, 18. März 2009 – An der Technischen Universität Dresden beginnt in wenigen Tagen der größte europäische Physikkongress des Jahres. Zur Tagung der Deutschen Physikalischen Gesellschaft (DPG), die vom 22. bis 27. März 2009 stattfindet, werden rund 5.000 Fachleute aus dem In- und Ausland erwartet. Zu den Themen des Kongresses zählen Trends in der Nanotechnik und Datenspeicherung, die biophysikalischen Vorgänge im Inneren lebender Zellen wie auch die Analyse von Börsendaten und Fußballspielen. Eine Vortragsreihe für Lehrerinnen und Lehrer rundet das Programm ab. Verantwortlich für die lokale Organisation der Mammuttagung ist das Leibniz-Institut für Festkörper- und Werkstoffforschung (IFW Dresden). (Bild: gagan, www.pixelio.de)

Im Fokus des Kongresses stehen Mikroelektronik, Nanotechnologie, Materialforschung und weitere Bereiche der Festkörperphysik. Ebenfalls vertreten ist die Biophysik sowie die „Physik sozio-ökonomischer Systeme“: Diese fachübergreifende Disziplin befasst sich unter anderem mit Börsenkursen, sozialen Netzwerken, wie auch mit der Analyse von Fußballergebnissen. Insgesamt sind in dem rund 740 Seiten starken Tagungsprogramm mehr als 4.300 Fachbeiträge gelistet. Hier einige Einblicke:

Filigran: Das Motto „Immer kleiner, immer schneller“ treibt die Mikroelektronik rasant voran. Allerdings sind die Möglichkeiten des Siliziums und anderer Chip-Materialien allmählich ausgereizt. Forscher suchen daher nach Alternativen. Kohlenstoff beispielsweise gilt als viel versprechender Baustoff für die Elektronik der Zukunft. Diesem Material sind zahlreiche Tagungsbeiträge gewidmet. Im Mittelpunkt stehen hauchdünne Kohlenstoff-Membranen, die im Fachjargon „Graphene“ genannt werden.

Ein weiteres Thema ist die „Spintronik“. Diese Weiterentwicklung der klassischen Mikroelektronik setzt darauf, neben der elektrischen Ladung auch den Eigendrehimpuls des Elektrons („Spin“) zum Rechnen und Speichern nutzbar zu machen. Vor diesem Hintergrund geht es in Dresden um „Pumpen“ für Elektronen und um atomare Bits als ultimatives Ziel der fortschreitenden Miniaturisierung.

Darüber hinaus stellen spanische Forscher „Nanomotoren“ vor, die aus winzigen Kohlenstoff-Röhrchen gestrickt sind. Außerdem geht es um „Nanodrähte“. Derlei elektrische Verbindungen sind im Extremfall nur ein Atom dick und könnten künftige Schaltkreise miteinander vernetzen.

Derlei Ansätze sind allerdings noch weit entfernt vom industriellen Einsatz. Deshalb wird es in Dresden auch um die Weiterentwicklung der traditionellen Technik gehen. Eine Fachsitzung mit Industrieexperten heißt daher: „Quo Vadis, Halbleiter?“.

Funktionell: Datenträger, die aus Multiferroika gefertigt sind, könnten der gängigen Festplatte eines Tages den Rang ablaufen. Die Vorsilbe „Multi“ im Familiennamen rührt daher, dass Multiferroika sowohl magnetische als auch elektrische Eigenschaften auf besondere Weise in sich vereinen können. Wissenschaftler denken deshalb über magnetische Datenspeicher nach, die sich elektrisch ansteuern lassen. Während der Tagung werden die neuesten Entwicklungen diskutiert. Materialien „mit Pfiff“ können aber noch ganz andere Funktionen übernehmen. So stellen in Dresden französische Forscher Kunststoffe mit Selbstheilungskräften vor. Ein weiteres Thema sind „plasmonische“ Materialien. Anwendungen dafür gibt es zum Beispiel in der Sensortechnik.

Superb: Supraleiter sind Materialien, die dem elektrischen Strom keinerlei Widerstand entgegensetzen. Diese „super Leiter“ gibt es in diversen Varianten. „Klassische Supraleiter“ sind gut verstanden. Doch wie der Strom durch „Hochtemperatur-Supraleiter“ fließt, bleibt rätselhaft. Aber es gibt neue Entwicklungen: So wurden kürzlich Materialien entdeckt von denen man neue Erkenntnisse erwartet. Um diese „Ferropnictide“ geht es auch in Dresden.

Modellhaft: An Modellsystemen lassen sich Phänomene unter Idealbedingungen untersuchen, die am realen Objekt mitunter undurchschaubar sind. „Quantengase“ sind solche Modellsysteme. Es handelt sich um ultrakalte Teilchenwölkchen, die im Labor künstlich hergestellt werden. Ihre Eigenschaften können durch Lichtstrahlen oder Magnetfelder nach Bedarf getrimmt werden. Somit sind Quantengase willkommene Hilfsmittel – beispielsweise zur Erforschung der Hochtemperatur-Supraleitung. Diverse Tagungsbeiträge befassen sich daher mit den neuesten Entwicklungen auf diesem Gebiet.

Berechnend: So genannte Quantencomputer sollen bestimmte Aufgaben viel schneller bewältigen können als übliche Digitalrechner. Doch die Quantenrechner befinden sich noch im frühen Laborstadium, denn bislang fehlt die passende Hardware. Bei der Tagung präsentieren Fachleute aus dem In- und Ausland unterschiedliche technische Ansätze. Manche Forscher liebäugeln mit „künstlichen Atomen“, die sie in extrem kalten, „supraleitenden“ Schaltkreisen erzeugen. Andere wiederum experimentieren mit Diamanten. Es hat sich nämlich herausgestellt, dass sich die Informationseinheiten eines Quantencomputers – Qubits genannt – im Inneren von Diamantkristallen erstaunlich gut speichern lassen.

Sensibel: Licht kann auf kleine Objekte Kräfte ausüben, deren Temperatur beeinflussen und dabei sogar eine kühlende Wirkung entfalten. Zur Erforschung derlei Effekte werden bewegliche Mikro-Bauteile verwendet, die auf den Strahlungsdruck des Lichts äußert sensibel reagieren. Solche filigranen Vorrichtungen, auch „optomechanische Systeme“ genannt, eröffnen zudem die Möglichkeit, den Übergang zwischen Quanten- und Makrowelt auszuloten. Dabei geht es um die Frage, wann kleine Objekte ihre Quanteneigenschaften einbüßen und unter welchen Bedingungen sich bei großen Objekten Quanteneffekte bemerkbar machen. Auch dies ist ein Thema, das in Dresden diskutiert wird.

Lebhaft: Vielfältig wie das Leben sind die Tagungsbeiträge aus dem Bereich der Biophysik. Das Themenspektrum reicht von den Vorgängen im Inneren lebender Zellen, über die elektrische Aktivität der Herzmuskulatur bis hin zur Funktion des tierischen Kompasses, also der Frage, wie sich Tiere am Magnetfeld der Erde orientieren.

Zahlreich: Die Erforschung komplexer Systeme ist ein weitläufiges, interdisziplinäres Gebiet, zu dem auch die Physik beiträgt: bis hin zur Untersuchung menschlicher Verhaltensweisen. Beispiele dafür sind Massenphänomene, an denen viele Akteure beteiligt sind. Vor diesem Hintergrund geht es in Dresden um soziale Netze, Epidemien, Wählerstimmungen und Wahlprognosen und auch um die Spielstärke von Fußballmannschaften.

Vernetzt: Ballungszentren, Verkehrswege und Versorgungsnetze sind ebenfalls komplexe Systeme, wo vieles ineinander greift. Im Tagungsprogramm finden sich dafür Beispiele. Themen sind beispielsweise Stauprognosen, Stadtentwicklung und die Optimierung des Fahrplans der Deutschen Bahn.

Monetär: Die Finanzwelt, traditionelles Metier der Wirtschaftswissenschaftler, ist mittlerweile zum Forschungsobjekt der Physik geworden. „Econophysics“ heißt diese junge Disziplin, die sich in Dresden mit Beiträgen über Finanzcrahs und Risiko Management präsentiert.

Lehrreich: Für Lehrerinnen und Lehrer werden Vorträge und Workshops angeboten, die sich bis zum 28. März (nach Abschluss des allgemeinen Programms) fortsetzen. Für Lehrkräfte ist die Teilnahme kostenlos. Themen sind beispielsweise Schülerexperimente und die Bedeutung der Sprache im Physikunterricht.

Feierlich: Der feierliche Höhepunkt der Tagung findet am 24. März statt: Während eines Festaktes zeichnet die DPG den Münchner Physiker Florian Marquardt mit dem mit 15.000 Euro dotierten „Walter-Schottky-Preis“ aus. Marquardt wird für seine Arbeiten über die Manipulation mikroskopischer Objekte mit Hilfe von Licht ausgezeichnet. Der Darmstädter Harald Rose erhält den mit 5.000 Euro dotierten „Robert-Wichard-Pohl-Preis“. Rose hat die Grundlage für eine ganze Reihe experimenteller und technischer Durchbrüche im Bereich der Elektronenmikroskopie geliefert. So basiert die neueste Generation kommerzieller Elektronenmikroskope auf seinem Konzept der „aberrationskorrigierten Elektronenoptik“. Dieses Verfahren wirkt ähnlich einer Brille, die die Sehschärfe verbessert.

Außerdem wird der „SKM-Dissertationspreis“, eine Auszeichnung für die beste Doktorarbeit im Bereich der Festkörperphysik, verliehen. Dieser ist mit 1.500 Euro dotiert. Der Preisträger wird in Dresden bestimmt – aus einer Gruppe von vier Kandidaten, die ihre Forschungsergebnisse während der Tagung präsentieren werden. Sie stammen aus Köln, München, Oxford und New York.

Ebenfalls während der Festsitzung wird die Deutsche Vakuumgesellschaft Jürgen Fassbender, Materialforscher am Forschungszentrum Dresden-Rossendorf, den „Gaede-Preis“ überreichen. Diese Auszeichnung ist mit 7.000 Euro dotiert.

Redner im Rahmen der Festsitzung sind DPG-Präsident Gerd Litfin und die sächsischen Wissenschaftsministerin Eva-Maria Stange.

Öffentlich: Neben dem umfangreichen Fachprogramm wird es auch einen öffentlichen Abendvortrag geben. Der Österreicher Martin Nowak, der an der US-amerikanischen Harvard University forscht, wird am Mittwoch, dem 25. März 2008, den Ursachen sozialer Verhaltenweisen auf den Grund gehen. Sein Vortrag „Wie Kooperation unter Egoisten entsteht“ beginnt um 20:00 Uhr im Audimax der Technischen Universität Dresden. Der Eintritt ist frei.