05.03.2002

Pressemitteilung

der Deutschen Physikalischen Gesellschaft

Aktien im Blick, Physik im Hirn

Frühjahrstagung der Deutschen Physikalischen Gesellschaft in Regensburg

Vom 11. bis 15. März 2002 lädt der Arbeitskreis "Festkörperphysik" der Deutschen Physikalischen Gesellschaft (DPG) zu seiner traditionellen Frühjahrstagung an der Universität Regensburg ein. Zum weltweit zweitgrößten Kongress dieser Art werden rund 2.500 Fachleute aus dem In- und Ausland erwartet. Am Programm sind auch die physikalischen Gesellschaften der Niederlande, Österreichs und Tschechiens beteiligt. Unter den namhaften Gästen ist Hans-Olaf Henkel, Präsident der Wissenschaftsgemeinschaft Gottfried Wilhelm Leibniz. Neben Forschungsberichten über Supraleiter, Nanotechnologie und weitere Gebiete der Festkörperforschung stehen aktuelle Fragen der Biophysik auf der Tagesordnung. Ein Schwerpunkt hier: Die Schnittstelle zwischen Hirnforschung und Physik. Ebenfalls in der Donaustadt vertreten ist der Arbeitskreis "Physik sozio-ökonomischer Systeme" (AKSOE), der sich mit kollektiven Phänomenen - insbesondere Marktprozessen - befasst. Deshalb zählen auch Stauforschung sowie die Analyse von Börsendaten mit Methoden der Vielteilchenphysik zu den Themen, die auf der Tagung diskutiert werden. Am Dienstag, dem 12. März, verleiht der AKSOE erstmals den "Young-Scientist Award for Socio- and Econophysics" - ein Nachwuchspreis, der europaweit ausgeschrieben wurde. Eine Physik-Ausstellung im Regensburger "Donau-Einkaufszentrum", Lehrerfortbildungen und öffentliche Abendvorträge runden das Programm ab.

Für heutige Computer-Chips sind Silizium und andere anorganische Halbleiter die Rohstoffe der Wahl. Doch organische Bauteile - insbesondere Leuchtdioden - sind mittlerweile Realität und selbst Quanteneffekte wie die Supraleitung wurden an leitfähigen Polymeren schon beobachtet. Der Vorteil von Kunststoffen gegenüber üblichen Halbleitern: Sie sind biegsam und in ihrer Herstellung relativ preisgünstig. Noch gelten flexible Flachbildschirme, die zusammengerollt in eine Aktentasche passen, als Zukunftsmusik. Aber erste Prototypen gibt es bereits. Und in Autoradios kommen einfache Leuchtanzeigen bereits zum Einsatz. Über Solarzellen aus Plastik und aktuelle Trends auf dem Gebiet der organischen Halbleiter diskutieren Experten aus Wissenschaft und Industrie im Rahmen eines Symposiums am Montag, dem 11. März.

Hochleistungscomputer im Taschenformat verspricht sich die Forschung von molekularen Schaltkreisen. Konventionelle, mikroskopische Bauteile sollen Platz machen für noch kleinere, so genannte nanoskopische Komponenten. Erste logische Schaltungen sind gerade in jüngster Zeit im Labor entstanden. Das renommierte Fachmagazin "science" nahm dies zum Anlass, um letzten Dezember die Fortschritte in der Nanoelektronik zum wissenschaftlichen Durchbruch des Jahres 2001 zu küren. Der Sprung von der Mikro- in die tausendfach kleinere Nano-Dimension - ein Nanometer entspricht einem milliardstel Meter - erfordert nicht nur neuartige Fertigungstechniken. Er geht einher mit neuen physikalischen Effekten, denn der Ladungstransport in molekular gestrickten Schaltkreisen lässt sich kaum anhand des alt gedienten Ohm'schen Gesetzes verstehen. Zwängen sich Elektronen durch Kohlenstoff-Nanoröhren, DNS-Fäden oder andere Nanodrähte dann regiert die Quantenphysik das Geschehen. "Quantentransport auf molekularen Skalen" heißt deshalb ein Symposium am Montag, dem 11. März, auf dem neueste Experimente und theoretische Arbeiten rund um den Stromfluss durch einzelne Moleküle vorgestellt werden.

Von der Waschmaschine zum Handy greift jedes elektrische Gerät letztlich auf ein vertrautes Merkmal des Elektrons zurück: die Ladung. Ohne sie gäbe es keinen Stromfluss. Ein weiterer Charakterzug - der so genannte Spin, eine quantenphysikalische Eigenschaft - bleibt dabei völlig ungenutzt. Anders der Fall bei magnetischen Speichermedien. Prominentes Beispiel ist der Riesen-Magnetowiderstand. Ein Phänomen, das in metallischen Schichtsystemen auftritt und ganz wesentlich auf dem Elektronen-Spin beruht. Die technische Nutzung dieses Effekts hat in den letzten Jahren die Entwicklung leistungsfähiger Festplatten entscheidend vorangetrieben. Bauelemente für neuartige Computer verspricht die Verzahnung von Halbleitertechnologie und Magneto-Elektronik: kurz genannt Aktien im Blick, Physik im Hirn. Flinke Arbeitsspeicher, die Daten auch bei Ausfall der Stromversorgung erhalten und zudem besonders langlebig sind, stehen ganz oben auf dem Wunschzettel. Den Stand der Entwicklung beleuchtet Donnerstag, den 14. März, das Symposium "Spintronics in Grundlagen und Anwendungen".

Weitere Einblicke in die Festkörperphysik geben Beiträge über Supraleiter, Cluster, ultraharte Beschichtungen sowie mehrere Plenarvorträge, die sich beispielsweise mit Halbleiter-Nanostrukturen und photonischen Kristallen befassen.

Ein anderer Schwerpunkt der Tagung ist das Grenzgebiet zwischen Physik und Lebenswissenschaften:

Das Symposium "Physik biologischer Materie" (Dienstag, 12. März) behandelt unter anderem die Elastizität von Muskel-Proteinen und die so genannte stochastische Resonanz. Dahinter steht der Tatbestand, dass sich zufällig auftretende Störungen -- "Rauschen" -- unter bestimmten Bedingungen positiv auf die Wahrnehmung auswirken. Ein Phänomen, das der täglichen Erfahrung eigentlich widerspricht. So wünschen wir uns beim Telefonieren nicht ohne Grund eine Verbindung ohne Knistern in der Leitung. Forschungsergebnisse haben jedoch gezeigt, dass stochastische Resonanz das Nervensystem beeinflusst. Provokant formuliert: Rauschen kann die Sinne schärfen. Der Löffelstör beispielsweise macht sich diesen Effekt bei der Beutejagd zunutze. Auch bei Kleinsttierchen gehen viele Lebensvorgänge mit schwachen elektrischen Signalen einher. Pech für einen wuselnden Plankton-Schwarm: Sein elektrisches Störfeuer ist äußerst verräterisch.

Das Symposium "Anwendungen der nicht-linearen Dynamik in Medizin und Technik" (Dienstag, 12. März) befasst sich insbesondere mit der Gelenkmechanik und elektrischen Prozessen im Gehirn des Menschen.

Ganz der Hirnforschung ist das Symposium "Physik im Hirn" gewidmet (Mittwoch, 13. März). Eine aktuelle Frage: Wie geht das Gehirn mit visuellen Eindrücken um? Sinnesreize werden häufig in unterschiedlichen Hirnregionen verarbeitet. Man vermutet aber, dass die beteiligten Neuronen ihre elektrische Aktivität aufeinander abstimmen und sozusagen im Gleichtakt schwingen - ähnlich den Paaren beim Formationstanz.

Physik und Medizintechnik stehen im Mittelpunkt des diesjährigen Industrietags, den der DPG-Ausschuss "Industrie und Wirtschaft" am Donnerstag, dem 14. März, ausrichtet. Das Leitthema: Kardiologie. Unter anderem geht es um minimal-invasiver Chirurgie und moderne Herzschrittmacher. Abschließend findet eine Podiumsdiskussion über die Zukunft der Medizintechnik statt.

Auf einer Festsitzung am Mittwoch, dem 13. März, ehrt die DPG Harald Reichert für seine herausragende wissenschaftliche Arbeit: Der Stuttgarter Physiker erhält den Walter-Schottky-Preis für Festkörperforschung. Im Rahmen desselben Festakts wird Christian Teichert mit dem Gaede-Preis der Deutschen Vakuum-Gesellschaft ausgezeichnet. Den Festvortrag "Wie viel Leistungslosigkeit kann sich eine moderne Wissensgesellschaft erlauben?" hält Hans-Olaf Henkel, Präsident der Wissenschaftsgemeinschaft Gottfried Wilhelm Leibniz.

Nach dem negativen Abschneiden deutscher Schülerinnen und Schüler bei der internationalen PISA-Studie schrillen hierzulande die Alarmglocken: um Lesen und Schreiben, Mathematik und Naturwissenschaften ist es in deutschen Klassenzimmern nicht zum Besten bestellt. Wie lässt sich insbesondere der Physik-Unterricht effektiver und attraktiver gestalten? Denkanstöße bieten die so genannten Lehrertage am 15. und 16. März. Im Rahmen dieser kostenfreien Fortbildung können sich Lehrerinnen und Lehrer über aktuelle Schwerpunkte der Klima- und Festkörperforschung sowie ungewöhnliche Arbeitsgebiete der Fachdidaktik informieren. Auch Schülerinnen und Schüler der Oberstufe sind willkommen. Am 15. März findet eine Diskussionsrunde statt, die sich mit dem öffentlichen Bild der Physik und dem Physik-Unterricht an den Schulen auseinandersetzt.

Zum öffentlichen Begleitprogramm gehören mehrere Abendvorträge. Am Dienstag, dem 12. März, steht unter dem Titel "Von der Schallwelle zur Musik im Kopf", die Physik des Gehörs im Vordergrund. Am Mittwoch, dem 13. März, geht es um den Zusammenhang zwischen Vielteilchenphysik, Massenpanik und Verkehrsstaus. Und ein letzter Programmpunkt: Schon in der Woche vor Tagungsbeginn lädt eine Physik-Ausstellung im "Donau-Einkaufszentrum" zum Mitmachen ein. Für Neugierige stehen dort vom 8. bis 12. März täglich (außer sonntags) Ansprechpartner bereit. Zu allen öffentlichen Veranstaltungen ist der Eintritt frei.

Anlässlich der Tagung findet eine Pressekonferenz statt, zu der Journalisten herzlich eingeladen sind. Der Termin:
Mittwoch, 13. März 2002, 13:00 Uhr
Uni Regensburg
Verwaltungsgebäude,
Raum 2.25 (Senatssaal)
Campus-Gelände, Universitätsstraße 31

Die Deutsche Physikalische Gesellschaft e. V. (DPG), deren Tradition bis in das Jahr 1845 zurückreicht, ist die älteste nationale und mit rund 55.000 Mitgliedern auch mitgliederstärkste physikalische Fachgesellschaft der Welt. Als gemeinnütziger Verein verfolgt sie keine wirtschaftlichen Interessen. Die DPG fördert mit Tagungen, Veranstaltungen und Publikationen den Wissenstransfer innerhalb der wissenschaftlichen Gemeinschaft und möchte allen Neugierigen ein Fenster zur Physik öffnen. Besondere Schwerpunkte sind die Förderung des naturwissenschaftlichen Nachwuchses und der Chancengleichheit. Sitz der DPG ist Bad Honnef am Rhein. Hauptstadtrepräsentanz ist das Magnus-Haus Berlin. Website: www.dpg-physik.de