17.12.2001

Pressemitteilung

der Deutschen Physikalischen Gesellschaft

Physikalische Spitzenleistung

Deutsche Physikalische Gesellschaft benennt die Preisträger 2002

Seit 1929 verleiht die Deutsche Physikalische Gesellschaft (DPG) die Max-Planck-Medaille für besondere Leistungen in theoretischer Physik; Preisträger der ersten Stunde waren der Namensgeber und Albert Einstein. Mit weiteren Auszeichnungen würdigt die DPG unter anderem herausragende Verdienste in experimenteller Physik und die Arbeit von Nachwuchsforschern. Die Preisträger des Jahres 2002 stehen jetzt fest - mit dabei sind zehn Schüler aus Ost- und Süddeutschland. Ein Novum ist die Verleihung des Hertha-Sponer-Preises für Nachwuchswissenschaftlerinnen, auch der Georg-Simon-Ohm-Preis für Fachhochschulstudierende wird erstmals vergeben. Die meisten Preisträger befassen sich mit der Physik der kondensierten Materie: der Erforschung der festen und "weniger" festen Stoffe (dazu zählen zum Beispiel Flüssigkeiten). Der Max-Born-Preis wird in Großbritannien überreicht, die übrigen Auszeichnungen auf den Frühjahrstagungen der DPG in Leipzig und Regensburg im März 2002.

Albert Einstein verließ Deutschland noch vor der Machtübernahme der Nationalsozialisten, die Österreicherin Lise Meitner flüchtete 1938 nach Holland, der Niederländer und DPG-Vorsitzende Peter Debye emigrierte 1940 in die USA. Die Situation der Physik während der NS-Zeit prägten zum einen Flucht und Vertreibung und zum anderen die Konfrontation zwischen den Anhängern der so genannten "Deutschen Physik", die sich an die klassische Physik des 19. Jahrhunderts anlehnte, und den Verfechtern der modernen Physik - namentlich Quantenmechanik und Relativitätstheorie. Obwohl vieler prominenter Köpfe beraubt, kam der wissenschaftliche Betrieb keineswegs zum Erliegen. Elektronenoptik und Akustik zählten zu den Themen der Zeit, ganz zu schweigen von der Kernphysik und der Arbeit im Dienste der Kriegsmaschinerie.

Max-Planck-Medaille (theoretische Physik): Prof. Dr. Jürgen Ehlers (72), Max-Planck-Institut für Gravitationsphysik, Golm/Potsdam

Stern-Gerlach-Medaille (experimentelle Physik): Prof. Dr. Jan Peter Toennies (71), Max-Planck-Institut für Strömungsforschung, Göttingen

Gustav-Hertz-Preis (Nachwuchspreis): Dr. Michael Bonitz (41), Universität Rostock

Hertha-Sponer-Preis (Nachwuchspreis): Dr. Karina Morgenstern (33), FU Berlin

Walter-Schottky-Preis (Physik der kondensierten Materie): Dr. Harald Reichert (38), Max-Planck-Institut für Metallforschung, Stuttgart

Georg-Simon-Ohm-Preis (Fachhochschulstudierende): Dipl.-Ing. (FH) Thomas Zentgraf (25), FH Jena/TU Clausthal

Robert-Wichard-Pohl-Preis (fachübergreifende Forschung und Physik-Vermittlung): Prof. Dr. Hanns Ruder (62), Universität Tübingen

Max-Born-Preis (herausragende Beiträge zur Physik, Auszeichnung der DPG und des britischen Institute of Physics): Prof. Dr. Siegfried Dietrich (47), Max-Planck-Institut für Metallforschung/Universität Stuttgart

Gentner-Kastler-Preis (herausragende Beiträge zur Physik, Auszeichnung der DPG und der Société Française de Physique): Prof. Dr. Jean-Marie Flaud (55), Université Paris-Sud

Schülerpreis: Deutsche Teilnehmerinnen und Teilnehmer der 32. Internationalen Physikolympiade und des 14. International Young Physicists' Tournament

Schwerkraft und Kosmologie: Prof. Dr. Jürgen Ehlers (72) vom Max-Planck-Institut für Gravitationsphysik in Golm bei Potsdam erhält die Max-Planck-Medaille für seine herausragenden Beiträge zur Einstein'schen Theorie der Schwerkraft.
Bei Erdbewohnern sorgt sie für Bodenhaftung, sie dirigiert unseren Planeten um die Sonne, steuert die Bewegung im Schwarm eines Galaxienhaufens und ist maßgebend für den Aufbau des Universums: die Gravitation (Schwerkraft). Für das Verständnis ihrer Eigenschaften auf kosmischer Skala schuf Albert Einstein mit der Allgemeinen Relativitätstheorie die auch heute noch gültige Grundlage. Ehlers hat diese Theorie weiterentwickelt und verfeinert. Zum Schwerpunkt seiner Arbeit zählen Gravitationslinsen: massereiche Himmelsobjekte wie etwa Galaxienhaufen, deren Schwerefeld das Licht ablenkt. Wie viel Materie enthält das Universum? Und wie ist die Materie großräumig verteilt? Die Signaturen von Gravitationslinsen liefern Hinweise auf zentrale Fragen der Kosmologie.
Ein weiteres Forschungsgebiet von Ehlers sind Gravitationswellen: Verzerrungen des Raum-Zeit-Gefüges, die sich mit Lichtgeschwindigkeit ausbreiten. Solche Wellen werden beispielsweise erzeugt von Doppelsternen, deren Partner einander eng umkreisen. Ehlers hat mit seinen Mitarbeitern untersucht, wie solche Wellen sich ausbreiten und wie deren Ausstrahlung die Bewebung der Sterne abbremst.
Ehlers studierte in Hamburg und promovierte bei Pascual Jordan, einem der Begründer der Quantenmechanik. Nach mehrjähriger Forschungstätigkeit in den USA kehrte er 1971 nach Deutschland zurück, 1995 wurde er Direktor am Max-Planck-Institut für Gravitationsphysik.

Oberflächen und Helium-Tropfen: Mit der Stern-Gerlach-Medaille für experimentelle Physik wird Prof. Dr. Jan Peter Toennies (71) vom Max-Planck-Institut für Strömungsforschung (Göttingen) ausgezeichnet. Mit diesem Preis würdigt die DPG seine hervorragenden Beiträge zur Oberflächen- und Clusterphysik.
Über Oberflächen treten Dinge mit ihrer Umwelt in Kontakt - sei es der Klebestreifen, der auf Papier haftet, oder die Autokarosserie, die an Luft rostet. Kurzum: In unserer Welt spielen Oberflächen eine entscheidende Rolle. Mit den mikroskopischen Vorgängen an festen und flüssigen Oberflächen befasst sich Toennies seit vielen Jahren. Wegweisend sind seine Experimente mit der so genannten Helium-Streuung. Dabei wird die zu untersuchende Oberfläche von einem Strom aus Helium-Atomen abgetastet. In sein Arbeitsgebiet fallen außerdem Cluster (kompakte Pulks gleichartiger Atome), ein weiterer Schwerpunkt sind mikroskopische Heliumtröpfchen. An diesen Winzlingen lassen sich Quanteneigenschaften wie die Superfluidität (sie steht u. a. für ungehindertes Fließen) studieren. Toennies wuchs in den USA auf, er war mehrere Jahre Gastprofessor an der Universität Göteborg und ist seit 1969 Direktor am Göttinger Max-Planck-Institut für Strömungsforschung.

Quanten-Plasmen und Nano-Kristalle: Den Gustav-Hertz-Preis für herausragende Nachwuchswissenschaftlerinnen bzw. Nachwuchswissenschaftler erhält Dr. habil. Michael Bonitz (41), theoretischer Physiker an der Universität Rostock. Teilchenkollektive fern vom Ruhezustand - angeregt durch ultrakurze Laserblitze - zählen zu seinen Forschungsschwerpunkten. Bonitz interessiert sich besonders für Elektronen und Ionen in dichten Plasmen (extrem heißen Gasen) sowie Halbleitern. Seine wissenschaftlichen Ergebnisse sind z. B. für den Einsatz von Lasern und für Halbleiter-Chips von Bedeutung, ferner geben sie Einblick in den Aufbau von Sternen und Riesenplaneten.
Besondere internationale Beachtung fanden seine jüngsten Arbeiten über mikroskopische "Elektronen-Kristalle": Ähnlich wie Atome in Festkörpern können auch Elektronen bei Temperaturen nahe dem absoluten Nullpunkt (minus 273,15 Grad Celsius) ein regelmäßiges Gitter bilden. Anhand von Computer-Simulationen stellte Bonitz unter anderem fest, dass sich die Eigenschaften des gesamten Kristalls durch Entnahme bzw. Zugabe eines einzigen Elektrons steuern lassen. Dieses einzelne Teilchen "schaltet" den Kristall zwischen zwei Zuständen - vielleicht ein Ansatzpunkt für elektronische Bauelemente der Zukunft.

Moleküle und Oberflächen: Mit dem Hertha-Sponer-Preis für herausragende Nachwuchswissenschaftlerinnen wird Dr. Karina Morgenstern (33), tätig an der Freien Universität Berlin, ausgezeichnet. Ihr Fachgebiet ist die Oberflächenphysik. Im Jahr 2002 wird der Hertha-Sponer-Preis erstmals verliehen.
Molekül für Molekül und Atom für Atom machen so genannte Raster-Sonden-Mikroskope filigrane Details auf der Oberfläche von Festkörpern sichtbar. Dabei tastet eine feine Nadelspitze die Probe ab: ein Verfahren, das sogar offenbart, wie einzelne Atome umherwandern und sich zu winzigen Inseln gruppieren. Solchen und anderen "Nanostrukturen", ihrem Wachstum und Zerfall, gilt Karina Morgensterns besonderes Interesse. Sie ist eine ausgewiesene Expertin für die Dynamik von Oberflächenprozessen. Ein weiterer Schwerpunkt ihrer Arbeit betrifft das Verhalten von Molekülen auf Metallsubstraten. Derartige Studien sind beispielsweise für das Verständnis der Katalyse von Bedeutung. Die Physikerin und Diplom-Informatikerin studierte in Deutschland sowie den USA. Nach ihrer Promotion arbeitete sie in Dänemark und in der Schweiz, ehe sie 1999 an die FU Berlin wechselte.

Ordnung und Unordnung: Mit dem Walter-Schottky-Preis für fundamentale Beiträge zur Physik der kondensierte Materie wird Dr. Harald Reichert (38) ausgezeichnet. Reichert arbeitet am Max-Planck-Institut für Metallforschung (Stuttgart) und befasst sich unter anderem mit Prozessen an der Grenzfläche zwischen Flüssigkeiten und Festkörpern.
Im Jahr 2000 gelang ihm eine bedeutende Entdeckung über die mikroskopische Struktur von Flüssigkeiten: Die Atome einer Flüssigkeit sind ständig in Bewegung. Nur vorübergehend ordnen sich kleine Gruppen zu fünfeckigen Gebilden, die nach Sekundenbruchteilen wieder zerfallen. Diese flüchtige, "fünfzählige" Symmetrie konnte Reichert bei geschmolzenem Blei erstmals nachweisen. Reicherts Ergebnisse sind grundlegend, um Schmelzen, Erstarren und das Phänomen der Unterkühlung im Detail zu verstehen.

Licht und Leiter: Thomas Zentgraf (25) studierte Physikalische Technik an der Fachhochschule Jena. Für seine Abschlussarbeit, die er am Fraunhofer Institut für Angewandte Optik und Feinmechanik durchführte, erhält der Diplom-Ingenieur den Georg-Simon-Ohm-Preis. Diese Auszeichnung wird erstmals verliehen. Derzeit absolviert Zentgraf ein Ergänzungsstudium in Physik an der Technischen Universität Clausthal.
Quantenprozesse sind meist subtil und nur schwer zu vermessen. So auch Bloch-Oszillationen - ein Effekt, der beispielsweise die Elektronen von Metallen betrifft. Leichter handzuhaben sind dagegen "photonische" Bloch-Oszillationen. Ein analoges Phänomen aus der Optik, das Zentgraf in seiner Diplom-Arbeit unter die Lupe nahm. Hierzu untersuchte er, inwieweit von Lichtleitern geführtes Laser-Licht auf benachbarte Lichtleiter übergreift. Zentgraf arbeitete nicht mit üblichen Lichtleitern aus Glas, sondern mit Lichtleitern aus transparentem Kunststoff, deren optische Eigenschaften er durch Heizen des Messaufbaus beeinflussen konnte. Sein Befund: In manchen Lichtleitern wurde das Licht verstärkt, in anderen abgeschwächt. Die Folge waren Schwankungen (Oszillationen) der Lichtintensität zwischen nebeneinanderliegenden Lichtleitern. Zentgrafs Experimente erlauben Rückschlüsse auf das elektronische Pendant des Phänomens und sind auch für die Optoelektronik von Interesse.

Astrophysik und Biomechanik: Der Robert-Wichard-Pohl-Preis geht an Prof. Dr. Hanns Ruder (62) von der Universität Tübingen. Schwerpunkt seiner Arbeit ist die Untersuchung komplexer Probleme - zum Beispiel der theoretischen Astrophysik - mithilfe von Hochleistungscomputern. Zu seinem Interessengebiet zählt auch die Mechanik des menschlichen Körpers: Was passiert mit den Insassen bei einem Fahrzeug-Crash? Mit welchen Sicherheitsvorkehrungen lässt sich ein Sturz vom Baugerüst möglichst unbeschadet überstehen? Solchen und weiteren Fragen der Biomechanik ist Ruder im Laufe der Jahre nachgegangen, häufig auch in Kooperation mit Partnern aus der Industrie.
Ruder engagiert sich insbesondere für die Vermittlung physikalischer Erkenntnisse. Die gewaltigen Datenmengen, die bei Computer-Berechnungen anfallen, in anschauliche Bilder umzusetzen - dies ist ihm ein besonderes Anliegen. Die Website www.tat.physik.uni-tuebingen.de bietet einige Kostproben, darunter ein Flug durch das Brandenburger Tor mit nahezu Lichtgeschwindigkeit.

Fest und flüssig: Prof. Dr. Siegfried Dietrich (47), theoretischer Physiker am Max-Planck-Institut für Metallforschung und an der Universität Stuttgart erhält den Max-Born-Preis. Diese Auszeichnung verleiht die DPG zusammen mit dem britischen Institute of Physics.
Dietrich ist eine internationale Kapazität auf dem Gebiet der Physik von Flüssigkeiten. Er arbeitete in den USA, Japan und Australien, engagiert sich in der European Physical Society und kooperiert intensiv mit Forschungsgruppen aus Großbritannien. Ein Schwerpunkt seiner Forschung ist die Benetzung: das Zusammenspiel von flüssiger und fester Materie. Zu seinem Arbeitsgebiet zählen außerdem "kritische" Phänomene. Solche können zum Beispiel dann auftreten, wenn eine Substanz vom flüssigen in den gasförmigen Zustand übergeht.

Moleküle und Atmosphäre: Mit dem Gentner-Kastler-Preis, den die DPG zusammen mit der Société Française de Physique verleiht, wird Prof. Dr. Jean-Marie Flaud (55) von der Université Paris-Sud ausgezeichnet.
Die Atmosphäre sorgt nicht nur für Luft zum Atmen, sie schützt das Leben auch vor Strahlung aus dem All. Die obersten Luftschichten sind einem ständigen Beschuss, unter anderem durch UV-Strahlung ausgesetzt. Dieses Bombardement beeinflusst die Chemie im Obergeschoss der Atmosphäre: Moleküle werden gespalten und ihre Eigenschaften verändert - dabei können aggressive Substanzen entstehen. Flaud, der sich mit Ozon und weiteren Gasen beschäftigt, hat wesentlich zum Verständnis derartiger Prozesse beigetragen.

Teamgeist und Wettstreit: Den Schülerpreis erhalten die deutschen Teilnehmer der 32. Internationalen Physikolympiade in der Türkei: Tobias Fritz, Sebastian Höppner, Alexander Köhler, Stefan Meinel und Stefan Pauliuk. Die Schüler stammen aus Brandenburg, Thüringen und Baden-Württemberg. Betreut wurde die Mannschaft vom Gunnar Friege, wissenschaftlicher Assistent am Kieler Leibniz-Institut für die Pädagogik der Naturwissenschaften.
Ebenfalls ausgezeichnet werden Patrick Kerner, Bernd Kaifler, Anja Sutter, Bastian Tomczyk und Matthias Tröndle. Diese Equipe, angeführt von den Studiendirektoren Bernd Kretschmer und Rudolf Lehn, belegte Platz zwei beim 14. International Young Physicists' Tournament. An dem Wettbewerb, der im Frühjahr 2001 in Finnland stattfand, beteiligten sich insgesamt 18 Schülergruppen aus Europa und Übersee. Das deutsche Team ging hervor aus dem so genannten Schülerforschungszentrum in Bad Salgau bei Ulm.

Hintergrund-Infos zu den DPG-Preisen

Die Deutsche Physikalische Gesellschaft e. V. (DPG), deren Tradition bis in das Jahr 1845 zurückreicht, ist die älteste nationale und mit über 62.000 Mitgliedern auch größte physikalische Fachgesellschaft der Welt. Als gemeinnütziger Verein verfolgt sie keine wirtschaftlichen Interessen. Die DPG fördert mit Tagungen, Veranstaltungen und Publikationen den Wissenstransfer innerhalb der wissenschaftlichen Gemeinschaft und möchte allen Neugierigen ein Fenster zur Physik öffnen. Besondere Schwerpunkte sind die Förderung des naturwissenschaftlichen Nachwuchses und der Chancengleichheit. Sitz der DPG ist Bad Honnef am Rhein. Hauptstadtrepräsentanz ist das Magnus-Haus Berlin. Website: www.dpg-physik.de