Interview mit Dr. Karina Morgenstern
Interview: Physikerinnen mit Auslandserfahrungen
März-April 2000
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Freie Universität Berlin Deutschland |
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Columbia University New York, USA. |
Johanna(1):
Karina, Du bist heute an der FU in Berlin beschäftigt und warst während Deines Physikstudiums, während der Doktorarbeit und der Postdoc-Zeit im Ausland. Um einen guten Rahmen für das Gespräch zu finden, was ist heute Deine berufliche Position und Dein Forschungsgebiet?
Karina(1):
Ich bin wissenschaftliche Mitarbeiterin
und habe einen fünfjährigen Vertrag. In dieser Zeit möchte
ich mich habilitieren.
Ich forsche in der experimentellen Oberfächenphysik.
In meiner Doktorarbeit habe ich mit schnellen Rastertunnelmikroskopen dynamische
Prozessen an Metalloberflächen untersucht. Seit einiger Zeit liegt
mein Schwerpunkt nun auf der Untersuchung von Molekülen auf Metalloberflächen
bei tiefen Temperaturen; auch dies mittels Rastertunnelmikroskopie. In
naher Zukunft möchte ich den Elektronentransfer in Molekülen
untersuchen und natürlich verstehen.
Johanna(2):
Wenn Du Deinen bisherigen Lebensweg anschaust
- Stationen in den USA, in Dänemark und in der Schweiz - so würde
es mich interessieren, von wann ab gab es einen 'roten Faden' beim Durchlaufen
Deiner verschiedenen Stationen und von welcher Art war er?
War es besonders wichtig, berufliche Kontakte
zu knüpfen und sich derer zu bedienen, daß Du die verschiedenen
Aufenthalte realisiert konntest?
War es das Dich interessierende Forschungsgebiet,
das Dich in besonderer Weise im Ausland zum Weiterqualifizieren lockte?
Oder war es vielleicht ganz einfach Neugierde auf die Welt jenseits bekannter
Grenzen?
Karina(2):
Letzteres. Daß sich Auslandsaufenthalte
auch gut in meinem Lebenslauf machen, und daß dabei auch wertvolle
Kontakte entstanden sind, habe ich erst vor recht kurzer Zeit realisiert.
Zum ersten Mal bin ich mit fremden Lebensweisen jenseits üblicher
Urlaubserfahrungen bei einer vierwöchigen Fahrradtour in Kontakt gekommen,
bei der wir 18jährig und unerfahren mehrfach auf die Hilfe der örtlichen
Bevölkerung angewiesen waren. Unter anderem bin ich auf dieser Reise
zu einem Wunderheiler gebracht worden, der mich mit (französischen)
beschwörenden Worten vor Brandnarben bewahren sollte. Auf dieser Reise
faszinierte mich insbesondere, daß es uns gelang, in einer fremden
Sprache nicht ganz alltägliche Hindernisse zu überwinden (in
der Schule waren Sprachen die Fächer, die ich überhaupt nicht
mochte).
Die Pause nach dem Abitur habe ich dann
für einen Kibbutzaufenthalt in Israel genutzt. Ich hatte dann die
Möglichkeit, eine au-pair Stelle in London anzunehmen. Im Kibbutz
war mir aber klar geworden, daß mir Haushaltstätigkeiten auf
Dauer zu stumpfsinnig sind. Somit habe ich dann mit dem festen Vorsatz,
ein Jahr im Ausland zu studieren, angefangen, Physik und Informatik zu
studieren. Da es nicht so eine gute Idee gewesen war, Englisch nach vier
Unterrichtsjahren abzuwählen, habe ich das Jahr dann in den USA (Knoxville,
Tennessee) verbracht. Bei der Entscheidung habe ich also auch berücksichtigt,
was gut für meinen weiteren Werdegang sein könnte. Die Triebfeder
war aber doch wieder der Aufbruch in neue Welten.
Ebenso habe ich die Doktorarbeit in dem
'Kaff' Jülich unter der Prämisse angefangen, ein halbes Jahr
im Ausland verbringen zu können. Hier war es dann mein Doktorvater,
der mich dazu überredet hat, nach Aarhus in Dänemark zu gehen.
Dänemark war nicht gerade mein Traumziel, aber es ist wissenschaftlich
eine wertvolle Zeit geworden.
Eine Postdoktorandenzeit im Ausland ist
dann ja nicht mehr so ungewöhnlich. Die USA kannte ich schon, ich
entsprach genau dem Profil der in den Physikalischen Blättern ausgeschriebenen
Stelle in der Schweiz und ich bin eine passionierte Skifahrerin.
Übrigens liegen die Schweiz und Dänemark
noch vor den USA auf der Wissenschaftlichen Bestenliste der Nationen. Aber
auch das habe ich erst erfahren, als ich schon in Lausanne war. Insgesamt
wollte ich also nicht an meinem Lebenslauf feilen, sondern immer wieder
neue Lebensweisen entdecken und selbst in unseren Nachbarländern habe
ich diese gefunden.
Johanna (3):
Also, wenn die Neugierde die Hauptantriebsfeder
war, dann würde mich interessieren, wie finanziert sich so eine Neugierde?
Eine Doc- bzw. Postdocstelle ist ja meistens an einen Stipendium oder eine
Forschungsstelle geknüpft. Auch wenn teilweise bei nur halber Bezahlung,
von dem Geld kann man (ohne Familie gut) leben. Aber im Studium? Wie hast
Du den Aufenthalt in den USA finanziert? Mit welchen Kosten mußtest
Du rechnen (Reise, Studiengebühren, Unterkunft, Verpflegung und Taschengeld
und all das bei evt. ungünstigem Umtauschkurs) und wer ist dafür
aufgekommen?
Karina (3):
Meinen Aufenthalt in den USA habe ich
über ein Direktaustauschstipendium des Akademischen Austauschdienstes
der Universität Bonn finanziert. Das bedeutet, daß im Austausch
eine Studentin von der University in Knoxville nach Bonn gekommen ist.
Ähnliche Programme gibt es, glaube ich, an allen deutschen Universitäten
und mit Universitäten vieler Länder. Andere Finanzierungsmöglichkeiten,
die ich in Erwägung gezogen hatte waren: (a) Stipendium des DAAD oder
der EU (gab es aber für meine Fachrichtung/für die USA nicht)
(b) Auslandszuschlag meines deutschen Stipendiums (hätte die realen
Kosten nicht gedeckt) (c) Fulbright-Stipendium (da habe ich das Interview
verpatzt)
Das Stipendium befreite mich von den (in
den USA recht erheblichen) Studiengebühren. Zusätzlich bekam
ich ein Zimmer im Studentenwohnheim und eine Essenskarte gestellt. Diese
Essenskarte erlaubte mir unbegrenzten Verzehr in den 'Cafeterias' und zusätzlichen
freien Einkauf für $ 100 pro Semester in den Lebensmittelläden
auf dem Campus. Letzteres sollte ausgleichen, daß die Cafeterias
am Sonntagabend geschlossen waren. Für die Ferien gab es sogar Bargeld,
das ebenfalls die Verpflegungskosten decken sollte (insgesamt ca. $ 400).
Das Stipendium schloß jedoch keine Reisekosten ein. Meine Bewerbung
um eine Reisestipendium von Fullbright war leider abgelehnt worden. Ich
habe dann eine Teilfinanzierung der Reise von der damaligen Bildungsministerin
erhalten. Selber mußte ich noch ca. DM 1400,- zuzahlen (Damals kostete
ein Flug in die U.S.A. mit einem Jahr Gültigkeit ca. DM 3000,-).
Weitere Kosten, die man einkalkulieren
sollte, sind Krankenversicherungsbeiträge. Die Versicherung bei deutschen
Ersatzkassen ist in den U.S.A. nicht gültig und, wenn man nicht schon
bei einer Privatkasse ist, kann das teuer werden. Ich habe dann einen Versicherer
gefunden, der mich über eine Auslandsreisekrankenversicherung recht
preiswert (ca. DM 500 für 11 Monate) versichert hat, und (dennoch!)
angefallene Arztkosten anstandslos ersetzt hat. Einzige Bedingung war,
daß ich keine bezahlte Tätigkeit ausübe. Amerikanische
Unis verlangen in der Regel einen Mindestschutz, den ich in einer Übersetzung
der Versicherungsbedingungen nachweisen mußte. Ansonsten hätte
ich noch einmal Beiträge an den Universicherer zahlen müssen.
Da außer dem Nachhilfestundenverdienst
meine deutschen Geldquellen (Unterhalt und Stipendium) unverändert
weitersprudelten, hatte ich auch ausreichend Taschengeld. Bei einem Umtauschkurs
1990/91 von ca. DM 1.50 =$ 1 konnte ich so auf sehr großzügigem
Fuß leben, u.a. weite Reisen unternehmen.
Johanna(4):
Als ich meinem älterem Bruder erzählte,
daß ich mich nun für die Postdoc-Stelle in den USA entschieden
hatte, mußte ich ihm auch erstmal erklären, daß ich sicherlich
nicht des schnöden Mammons wegen dorthin für zwei Jahre "auswandere".
Da ich mit einem (DFG-) Stipendium finanziert werde, gibt es keine Möglichkeit,
freiwillig in die Renten- und Arbeitslosenversicherung einzuzahlen, nur
die Krankenversicherung wird als Paket mit angeboten.
Bei meiner aktuellen Stelle verdiene ich
gut 1/3 mehr und bin zudem noch Renten- und arbeitslosenversichert. (Es
ist eine befristete, nichtwissenschaftliche Stelle in einer internationalen
Behörde). Bist Du schon mal ernsthaft in Versuchung geraten, in z.B.
die Industrie abzuwandern? Oder wiegt das Interesse an Deiner Arbeit einen
eventuellen finanziellen oder/und sozialversicherungtechnischen Nachteil
auf?
Karina (4):
Sozialversicherungstechnische Nachteile
hatte und habe ich keine, da ich seit Beendigung des Studiums immer sozialversicherungspflichtig
beschäftigt war. Aus finanziellen Gründen bin ich noch nie in
die Versuchung geraten, in die Industrie abzuwandern. Ich versorge nur
mich selber und pflege keinen aufwendigen Lebensstil, so daß ich
seit einigen Jahren mehr verdiene, als ich ausgebe (n kann). Da ich kaum
Begeisterung für eine höhere Zahl auf meinem Bankkonto aufbringe,
bin ich mit meinem Gehalt also rundum zufrieden. Was mich an meiner jetzigen
Tätigkeit beunruhigt und weswegen ich vor einiger Zeit tatsächlich
erwogen habe, in die Industrie abzuwandern, ist die unsichere Zukunftsperspektive.
Es ist nicht sicher, ob ich es je bis zu einer Professur schaffen werde
und wenn nicht, gibt es kaum unbefristete Stellen im Mittelbau, die mich
abfangen könnten.
Johanna(5):
Da fallen mir gleich zwei weitere Fragen
ein. Beide beruhen auf der Tatsache, daß es meiner Meinung nach eine
erhebliche Unsicherheit in der Zukunftsperspektive von hoch qualifizierten
WissenschatlerInnen Mitte/Ende Dreissig, Anfang Vierzig gibt. Was ist Deiner
Meinung nach letztendliches Kriterium für das Durchhalten bis zur
ersehnten Professur in Deutschland: Den eigenen Glauben bzw. das Wissen
um der eigenen Professionalität oder die außerordentliche Risikobereitschaft,
diesen Weg zu gehen, auch für den Fall, daß es auf dem weiteren
Weg nach oben noch schwieriger, noch enger wird? Springen nicht viele von
den "Besten" aus eben diesem Risikogrund ab und gehen in die Industrie?
Kann das die Wissenschaft auf Dauer gutheißen?
Karina (5):
Das ist schwierig zu sagen, da es sicher
eine sehr persönliche Entscheidung ist und die Gründe, die ich
für den Abgang aus der Wissenschaft gehört habe, so vielfältig
sind wie die Abgänge. Neben den häufigen Argumenten des geringen
Verdienstes und der Zukunftsunsicherheit, ist es auch die Unfaßbarkeit
der Erfolgskriterien. Bei der Vergabe von Professuren (so hört man
es zumindest allenthalben) werden viele Fäden im Hintergrund gezogen.
Mich selber hält die Begeisterung für die Wissenschaft, deren
Inhalte und deren Herausforderungen. Ich denke, daß dies eine der
wichtigsten Voraussetzungen ist. Man investiert ja viel Zeit und Energie,
weit über einen 'normalen' Arbeitstag hinaus. Natürlich braucht
man auch Optimismus bezüglich der eigenen Zukunft und ein gesundes
Selbstvertrauen in die eigenen Fähigkeiten.
Ich weiß nicht, ob wirklich immer die 'Besten' aufgeben. Aus meinem Arbeitsumfeld kenne ich sowohl 'Beste', die abgesprungen sind, als auch welche, die weiterhin Wissenschaft machen. Gesamtgesellschaftlich finde ich das durchaus in Ordnung. Allerdings sollte die Wissenschaft überdenken, ob die Auswahl der Wissenschaftler nach Sekundärkriterien sinnvoll ist.
Johanna (6):
Ich gehe mal davon aus, daß es für
jede von uns eine Risikogrenze gibt. Aus dieser Richtung kommt auch meine
zweite Frage: Was ist Deine Auslandserfahrung in diesem Punkt, ist es in
anderen Ländern auch so riskant, seine "besten Jahre" in der Wissenschaft
zu verbringen?
Karina (6):
Das Problem in Deutschland ist, daß
man seine wissenschaftliche Qualifikation an einer Hochschule bestätigt
bekommt und man sich dann eine Stelle an einer anderen Hochschule suchen
muß. Der Erfolg dieser Stellensuche ist meines Erachtens auch Glücksache.
Innerhalb eines gewissen Zeitfensters muß das eigene Profil in die
Fakultät einer fremden Hochschule passen. Diese 'politische' Entscheidung
fällt beispielsweise in den U.S.A. bereits nach Beendigung der Postdoczeit.
Dort bekommt man nach mehrjähriger erfolgreicher Tätigkeit nicht
eine Habilitationsurkunde, mit der man sich auf Stellensuche begeben kann,
sondern direkt eine permanente Stelle (tenure).
Zudem gibt es im amerikanischen Wirtschaftssystem
das Problem der Überqualifizierung nicht. Wenn man bereit ist, einen
Job anzunehmen, auch wenn er unter den eigenen Möglichkeiten liegt,
muß man zwar sicher mit Einkommenseinbußen rechnen, aber man
bekommt den Job trotzdem. In den U.S.A. scheint mir der Weg in die Wissenschaft
also weniger riskant. Auch Dänemark kennt kein Habilitationsverfahren.
Das schweizerische System ist wegen der verschiedenen Sprachräume
etwas kompliziert. Die Ostschweiz folgt dem deutschen System; in der Westschweiz
gibt es zwar die Möglichkeit, sich zu habilitieren, aber es wird eigentlich
nicht verlangt. In beiden Ländern ist eher deren Größe
ein Problem. Bei Bevölkerungen unter 10 Millionen ist die Anzahl der
frei werdenden Stellen einfach sehr gering.
Johanna(7):
Um abschließend das Thema Frau in
der Wissenschaft noch mal direkt anzugehen, interessiert mich Deine Meinung
zu folgendem Sachverhalt:
In Deutschland ist die Wissenschaft eindeutig
(noch) sehr männlich dominiert; mit Zahlen brauche ich an dieser Stelle
nicht zu argumentieren. Zugleich hat die Wissenschaft eine hohe gesellschaftliche
Anerkennung. Das alles wäre noch nicht so sonderlich aufregend, wäre
die Wissenschaft eine langweilige Angelegenheit. Will nun eine interessierte
Frau diesen Weg auch beschreiten, so kann sie das, sie muß nicht
mehr für die Zulassung zu ihren Studienplatz demonstrieren. Außerdem
werden nicht nur zunehmend die historischen Frauen in der Wissenschaft
"entdeckt", es gibt mittlerweile auch eine beachtliche Anzahl von Frauen,
die diesen Weg heutzutage erfolgreich beschreiten.
Systematisch allerdings sehe ich noch
eine ganze Reihe von Faktoren, die Frauen das Eintreten und das Verbleiben
in der Wissenschaft erschweren. Aus der Sicht einer jeden Einzelnen von
uns mag es so aussehen, als seien es tatsächlich persönliche
Beweggründe, die Wissenschaft nicht als Beruf zu wählen bzw.
diesen Weg nach einiger Weile dann doch wieder zu verlassen. Berufliche
Unsicherheit, mit Familie/Partner eingeschränkte Flexibilität
sowie lange Aus- und stetige Weiterbildung sind a priori keine geeigneten
Rahmenbedingungen, sich als Frau bis Mitte Ende Dreissig auf ein Familienleben
einzulassen bzw. sich ein solches bewußt aufzubauen. Eben diese Gründe
von Frauen gegen den Wissenschaftsberuf sind, obwohl persönlich, sehr
systematisch.
[Sicherlich trifft treffen diese Gründe
auch (wenn auch in eingeschränkter Form) auf Männer mit vergleichbaren
beruflichen Vorstellungen zu.] Glaubst Du, das unser deutsches System gerecht
ist, d.h. echte Chancengleichheit bietet, wenn es an seinen bisherigen
Standards festhält, - und mit Standards meine ich vor allem die außerordentlich
späte berufliche und damit finanzielle Sicherheit? Wenn neben einem
starken Willen, einer großen persönlichen Anstrengung der Zunächst-Verzicht-auf-Famile
von Wissenschaftlerinnen gefordert ist, um diese systematischen Schwierigkeiten
zu überwinden?
Karina (7):
Nein, ich glaube nicht, daß das
deutsche System echte Chancengleichheit bietet. Das haben glücklicherweise
bereits andere vor mir entdeckt und so gibt es inzwischen einige frauenspezifische
Projekte. Lobend möchte ich die Initiative des Forschungszentrum Jülich
(Tenure-Track-Programm für Naturwissenschaftlerinnen) hervorheben
und auch einige Stipendien, die Habilitation nach einer familienbedingten
Pause ermöglichen sollen. Solange Frauen und Männer nicht in
gleichem Maße für Kinderbetreuung in die Pflicht genommen werden,
oder (wie in Dänemark) durch entsprechende Einrichtungen von dieser
Pflicht entbunden werden, können solche Programme jedoch die gesellschaftlich
bedingten Nachteile nicht ausgleichen, sondern höchstens am Rande
korrigierend wirken. Ob eine auf diesem Wege erlangte Habilitation dann
auch zu einem Ruf führt, d.h. inwieweit die (überwiegend männlich
besetzten) Berufungskommissionen, diese Art des Lebensweges honorieren,
wird sich erst noch zeigen.
Es gibt hier übrigens ein Deutschland
spezifisches Phänomen (auf der Physikerinnentagung 1998 in Hamburg
habe ich gelernt, daß die Ursache in der Propaganda der Nationalsozialisten
in den dreißiger Jahren liegt, die damit u.a. den Arbeitsmarkt entlasten
wollten): Der Mutter, die sich nicht rund um die Uhr um ihre Kinder kümmert,
haftet der Makel der Vernachlässigung an. In den USA gilt eine im
Beruf erfolgreiche Frau nicht automatisch als Rabenmutter. Dort haben Studien
gezeigt, daß die Zufriedenheit der Frau mir ihrer Rolle weit wichtiger
für die Kindesentwicklung ist, als deren ständige Anwesenheit.
In Dänemark ist es sogar selbstverständlich, daß die Mutter
sechs Monate nach der Geburt wieder ihrem Beruf nachgeht.
Eigentlich müßte also die Gesellschaft
und nicht die Wissenschaft geändert werden, um Chancengleichheit zu
gewähren. Bis dahin kann die Wissenschaft nur versuchen mit den oben
erwähnten Programmen die Nachteile auszugleichen, und die sich auf
diesen Programmen qualifizierte Frauen auch berufen.
Ich selber habe übrigens keine Familie
und plane auch keine, so daß für mich dieser Nachteil nur insofern
von Bedeutung ist, daß ich gerne mehr Kolleginnen hätte. Das
hat mehrere Gründe: - Ich möchte nicht, daß meine wissenschaftliche
Arbeit anders betrachtet wird als die meiner männlichen Kollegen.
Nach einem meiner ersten Vorträge wurde den ganzen Abend über
Frauen in der Physik diskutiert, aber nicht über den Inhalt meines
Vortrags.
- Ich finde es überflüssig,
immer wieder als erste Kollegin beweisen zu müssen, daß ich
als Frau auch eine Elektronik reparieren, eine technische Zeichnung anfertigen
etc. kann. Und das nicht nur gegenüber dem Werkstattpersonal.
- Wenn sich bei einer Konferenz drei Frauen
unter 70 Männern an einem einsamen Ort befinden, dann kann das für
die Frauen mühsam werden.
Johanna (8):
Diese Interviews sollten/können ja
dazu dienen, z.B. Studentinnen Anregungen zu geben, sich vielleicht selbst
um einen Auslandsaufenthalt zu bemühen, bzw. "fertigen" Physikerinnen
Mut zu machen, es mit einer wissenschaftlichen Laufbahn zu versuchen. Stichwort:
weibliche Vorbilder in der Physik mit denen, die solche suchen, "bekannt"
zu machen. Hattest Du solche Vorbilder und wie schätzt Du den Stellenwert
solcher "Vorbilder" ein, seien es persönlich bekannte oder vom Hörensagen/Lesen?
Karina (8):
Ich selber hatte keine weiblichen Vorbilder
in der Physik. Weder an der Universität Bonn noch an der Universität
in Knoxville gab es zu meiner Zeit in der Physik Professorinnen, ebenso
in der Chemie oder der Informatik. So habe ich bis heute keine von einer
Professorin gehaltene Vorlesung gehört. Auch in den Arbeitsgruppen,
in denen ich bis dato gearbeitet habe, gab es nie eine Frau, die in ihrem
wissenschaftlichen Werdegang wesentlich weiter war als ich. Das fehlende
weibliche Vorbilder ein Manko sind, ist mir zuerst auf dem Physikerinnentreffen
in Göttingen (1992?, damals war ich Diplomandin) klargeworden. Ich
finde es eine der wichtigen Aufgaben der heutigen Physikerinnentagungen,
darzustellen, daß es mehr als eine Handvoll erfolgreich arbeitender
Physikerinnen auf allen Teilgebieten der Physik und inzwischen auf fast
allen Ebenen gibt. Übrigens ist mir am prägnantesten von dem
damaligen Treffen eine Beschreibung ihrer Postdoktorandinnenzeit in Japan
von Ingrid Wilke in Erinnerung, d.h. ich hatte doch ein Vorbild für
wissenschaftliche Auslandsaufenthalte. Ich finde Vorbilder, insbesondere
persönlich bekannte, sehr hilfreich. Jeder, die dieses Interview liest,
würde ich also zur Teilnahme an einer Physikerinnentagung
raten.
Und in jedem Fall würde ich auch zu
einem Auslandsaufenthalt raten, und zwar egal, ob man eine wissenschaftliche
Karriere anstrebt oder nicht. Für mich sind es Erfahrungen, die ich
nicht missen möchte. Außerdem macht es sich auch gut im Lebenslauf,
in dem es ein Zeichen für Mobilität, Anpassungsfähigkeit,
Durchhaltevermögen u.v.m ist. Man sollte sich aber klar machen, daß
man Zeit braucht, um sich an die fremden Lebensweisen zu gewöhnen,
z.B. den Alltag zu meistern (meiner Erfahrung nach ungefähr ein halbes
Jahr) und die Sprache zu lernen (1-2 Jahre, das kommt natürlich auf
Begabung, Vorbildung und Einsatz an). Wenn man bereit ist dies zu investieren,
dann sollte man in jedem Fall den Schritt wagen.