Jahresbericht 1990

Berichtszeitraum: 1. April 1990 bis 31. März 1991

Präsident

Die Vereinigung Deutschlands ist das dominierende historische Ereignis des Zeitraums, über den hier zu berichten ist. Sie hat naturgemäß auch zum Zusammenschluß der beiden Physikalischen Gesellschaften in Deutschland geführt. Dieser Zusammenschluß war bereits auf der Physikertagung in München im März 1990 in einer gemeinsamen Erklärung beider Gesellschaften angekündigt worden - zu einem Zeitpunkt, als der rapide Prozeß der politischen Vereinigung noch nicht im entferntesten abzusehen war. Es war schon damals ein Verfahren zum Zusammenschluß der Physikalischen Gesellschaften vereinbart worden, das dann unabhängig von den politischen Ereignissen im Lauf des Jahres in die Tat umgesetzt wurde. Es hieß in der Münchener Erklärung: "Eine aus beiden Vorständen gebildete Kommission bereitet im Rahmen der rechtlichen Möglichkeiten unter Wahrung der Interessen aller Mitglieder die erforderlichen Maßnahmen zur Vereinigung vor." Dieser Schritt war möglich geworden, weil in der Physikalischen Gesellschaft der DDR in der sich wandelnden politischen Atmosphäre im Februar 1990 unvermittelt ein völlig neuer Vorstand unter Leitung von G. Röpke (Rostock) gewählt worden war, der sich entschlossen zeigte, die Isolation zu durchbrechen und einen neuen Anfang zu setzen.

Die gemeinsame Kommission entwarf im Sommer eine Vereinbarung zum Zusammenschluß, die einerseits bei den Mitgliedern der Physikalischen Gesellschaft der DDR im Oktober 1990 zur Abstimmung gestellt wurde und andererseits vom Vorstandsrat und der außerordentlichen Mitgliederversammlung 1990 der DPG im November 1990 beraten wurde. Vorher hatte sich die Physikalische Gesellschaft der DDR noch eine neue Satzung geben müssen, die die Möglichkeit des Zusammenschlusses beinhaltete. Am 20. November 1990 schließlich konnte die Vereinbarung im Magnus-Haus in Berlin, Am Kupfergraben, von beiden Vorständen unterzeichnet und damit der Zusammenschluß vollzogen werden. Dieses Ereignis wurde im Rahmen einer Kolloquiums-Veranstaltung in der Kongreßhalle Berlin gefeiert (vgl. Phys. BI. 46 (1990) 458 und 47 (1991) 13 ff).

Um die beim Zusammenschluß getroffenen Vereinbarungen erfüllen zu können, war eine Änderung der DPG-Satzung notwendig, mit dem Ziel, sowohl Vorstand als auch Vorstandsrat für eine Übergangszeit von zwei Jahren durch Mitglieder aus den neuen Bundesländern erweitern zu können. Die Änderung wurde satzungsgemäß durch Diskussionen im Vorstandsrat und in der außerordentlichen Mitgliederversammlung 1990 vorbereitet und Anfang 1991 den Mitgliedern zur schriftlichen Abstimmung vorgelegt. Bei einer Beteiligung von 43 % aller Mitglieder stimmten 95 % für die vorgeschlagenen Änderungen (die aktuelle Fassung der Satzung ist im Anschluß an den Jahresbericht 1990 abgedruckt). Daraufhin wurden von den Mitgliedern in den neuen Bundesländern die Herren G. Berg (Halle) und G. Röpke (Rostock) in den Vorstand und Frau I. Rotter (Dresden) sowie die Herren K. Günther (Berlin). H. Pfeifer (Leipzig) und R. Zimmermann (Berlin) in den Vorstandsrat gewählt.

Mit dem Zusammenschluß übernahm die gemeinsame Gesellschaft die Sorge für das Magnus-Haus in Berlin, das mit der Tradition der Gesellschaft auf das engste verbunden ist und das sich in der Rechtsträgerschaft der Physikalischen Gesellschaft der DDR befand. Gleichzeitig ergab sich die Notwendigkeit, die bisherige Geschäftsstelle im Magnus-Haus bis zum Jahresende 1990 aufzulösen. Durch den Zusammenschluß und durch viele unabhängige Beitritte ist die Mitgliederzahl inzwischen auf über 20 000 gewachsen. Der Zusammenschluß hat die Gesellschaft indessen vor eine Reihe völlig neuer Aufgaben gestellt. Die Angleichung von Forschung und Lehre zwischen den alten und neuen Bundesländern bringt Probleme mit sich, bei denen die Physikalische Gesellschaft zur aktiven Hilfe herausgefordert ist. Es wurden unverzüglich Kommissionen zur Erarbeitung von Strukturempfehlungen für die Physikalischen Fachbereiche der Hochschulen des Beitrittsgebietes (vgl. Phys. BI. 47 (1991) Nr. 8) sowie zur Analyse des dortigen Arbeitsmarktes für Physiker (vgl. Phys. BI. 47 (1991) 318) eingesetzt.

Auf Beschluß des Vorstandsrates hat sich eine Arbeitsgruppe der DPG mit dem Nutzen der bemannten Raumfahrt für die physikalische Forschung beschäftigt. Hierzu wurde im Juni 1990 ein zweitägiges Kolloquium in Bonn abgehalten. Daraufhin wurde eine Stellungnahme zum Nutzen der bemannten Raumfahrt für die physikalische Forschung ausgearbeitet, die vom Vorstandsrat im November 1990 verabschiedet und im Dezember veröffentlicht wurde (vgl. Phys. BI. 47 (1991) 56). Sie hat zu öffentlicher Aufmerksamkeit und lebhafter, noch anhaltender Diskussion geführt. Ein jährlicher Höhepunkt im Leben der Gesellschaft ist der Tag der DPG im Physikzentrum Bad Honnef, an dem sich viele Aktivitäten bündeln. Die traditionelle Diskussionsveranstaltung stand unter dem Titel ,.Die Physik im Umfeld des kulturellen Wandels" und verlief äußerst lebhaft. Sie wurde von drei Referaten eingeleitet, die von T. Mayer-Kuckuk (Bonn), N. Fiebiger (Erlangen) und vom Züricher Kulturphilosophen H. Lübbe gehalten wurden (vgl. Phys. BI. 47 (1991) 299). Über die Jahreshaupttagung 1991 in Münster wird im vorliegenden Juliheft (7/91) der Physikalischen Blätter ausführlich berichtet.

Das Jahr 1990 brachte der Deutschen Physikalischen Gesellschaft große Erweiterungen und damit auch neue Verantwortlichkeiten. Sie ist bereit und in der Lage, diese Herausforderungen anzunehmen und zu bewältigen. Nicht zuletzt ist es mir ein großes Anliegen, meinem Amtsvorgänger, Herrn Folberth, ganz herzlich für seine intensive, umsichtige und so erfolgreiche Arbeit als Präsident zu danken.

Prof. Dr. T. Mayer-Kuckuk
Präsident

 

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