Ulrich Woelk

"Wir sind heute als Individuen so frei und selbstbestimmt wie noch nie zuvor in der Geschichte der Menschheit, und trotzdem sind wir dadurch nicht automatisch glücklich und zufrieden. Dieser Widerspruch bewegt und beschäftigt mich, und deswegen erzähle ich immer wieder davon."

Ulrich Woelk arbeitet nach seinem Physikstudium und der Promotion bis 1995 als Astrophysiker an der Technischen Universität in Berlin, wo er als freier Schriftsteller lebt. 1990 erscheint sein erster Roman, „Freigang“, über einen jungen Physiker im Spannungsfeld zwischen Emotionalität und Rationalität. Danach folgen viele weitere Romane, Theaterstücke und Essays. Seine Bücher und Essays sind in viele Sprachen übersetzt, beispielsweise ins Chinesische, Französische, Englische oder Polnische. Für sein literarisches Werk wird Ulrich Woelk unter anderem mit dem Aspekte-Literaturpreis, dem Thomas-Valentin-Preis und im Jahr 2019 mit dem Alfred-Döblin-Preis ausgezeichnet. Ulrich Woelk setzt sich in seinem Werk immer wieder auch mit der Rolle von Naturwissenschaftlerinnen und Naturwissenschaftlern sowie den Naturwissenschaften in unserer Zeit und Gesellschaft auseinander. Sein neustes Werk erscheint 2019 - der Roman „Der Sommer meiner Mutter“ erzählt eine Emanzipationsgeschichte vor dem Hintergrund der ersten bemannten Mondlandung im Jahr 1969.

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Was bewegt Sie neben Physik und Arbeit?

Als Romanautor bewegen mich insbesondere zwei Themen: die Rolle von Naturwissenschaftlerinnen und Naturwissenschaftlern in unserer Gesellschaft, mit der ich mich publizistisch auch in Zeitungsartikeln und Essays immer wieder auseinander gesetzt habe. Und das Leben in unserer Zeit ganz allgemein. Wir sind heute als Individuen so frei und selbstbestimmt wie noch nie zuvor in der Geschichte der Menschheit, und trotzdem sind wir dadurch nicht automatisch glücklich und zufrieden. Dieser Widerspruch bewegt und beschäftigt mich, und deswegen erzähle ich immer wieder davon.

Privat kommt als Leidenschaft noch die Musik hinzu. Ich spiele Klavier, Klassik und Jazz, und wenn ich Zeit finde (oder wenn mir am Schreibtisch nichts einfällt) dann setze ich mich ans Klavier.

 

Warum sollten sich Physikerinnen und Physiker verstärkt in den politischen Diskurs bzw. Alltag einbringen?

Ich habe leider viel zu häufig feststellen müssen, dass es zwischen dem politisch-gesellschaftlichen Leben und den Naturwissenschaften eine Trennung gibt, die schwer zu überbrücken ist. Ein ganz konkretes Beispiel, über das ich mich immer wieder ärgere, ist die Tatsache, dass im deutschen Ethikrat praktisch keine Naturwissenschaftler sitzen. Zwar haben die Mediziner, die dort vertreten sind, eine gewisse berufliche Nähe zu den Naturwissenschaften, aber ihre Perspektive ist nicht die Gleiche. Letztlich sind es Philosophen, Theologen und Juristen, die über Fragen diskutieren, deren Kern oftmals naturwissenschaftlichen Ursprungs ist – Biotechnologie, Energiewende, Klimapolitik, um nur ein paar zu nennen. Ich denke, Naturwissenschaftlerinnen und Naturwissenschaftler sollten viel selbstbewusster und energischer auf ein Mitspracherecht in gesellschaftlichen Fragen bestehen.

 

Welche Fragestellungen der Physik begeistern Sie heute am meisten?

Vor Kurzem war ich für eine Zeitungsreportage am CERN, und eine der großen Fragen dort ist die nach der Natur der Dunklen Materie, und ob diese am LHC möglicherweise aufzuspüren ist. Dass das Universum von einem Stoff zusammengehalten wird, über den wir noch nichts wissen, außer dass es ihn höchstwahrscheinlich geben muss, ist ein Rätsel, dessen Lösung ich noch gerne miterleben würde.

Aber auch andere Fragen, auf deren Beantwortung wir hoffen dürfen, interessieren mich: Gibt es einen Exoplaneten mit einer Biosphäre? Gibt es oder gab es mikrobakterielles Leben auf dem Mars (oder auf den äußeren Monden)?. Und was werden wir durch die nächste Generation von Gravitationswellen-Detektoren über das Universum erfahren?

 

Gibt es etwas, das Sie schon immer sagen wollten?

Schon immer nicht, aber im Moment unbedingt. Die Ausgangsbeschränkungen wegen des Corona-Virus verschaffen uns viel Zeit, die wir nicht im Kino, beim Sport oder auf Partys zubringen können. Mein Vorschlag, diese Zeit zu nutzen, ist natürlich: lesen.

Wenn man nicht verreisen kann, so kann man es doch mit Büchern tun. Die Literatur ist ein Universum, das zu entdecken sich ebenfalls lohnt. Man kann mit Douglas Adams „Per Anhalter durch die Galaxis“ reisen, mit Joseph Conrad ins „Herz der Finsternis“ oder mit Jack Kerouac „Unterwegs“ sein. Und einen besonderen Tipp für Physiker habe ich auch noch: Italo Calvino, „Auf den Spuren der Galaxien“. Wunderbar!

 

Bild: Bettina Keller