Alexander Gerst

"Ich denke es würde unserer Spezies guttun, wenn jeder Mensch einmal die Chance bekäme, die Erde von außen zu sehen."

Alexander Gerst ist Geophysiker, Vulkanologe und ESA Astronaut. Große Bekanntheit erlangte Gerst während seiner Raumflüge vom 28. Mai bis 10. November 2014 (Mission Blue Dot) und 6. Juni bis 20. Dezember 2018 (Mission Horizons). Mit seiner medialen Präsenz und durch seine Fotografien der Erde von der ISS aus vermittelt er eine menschliche Perspektive aus dem All auf unseren Heimatplaneten und macht die Endlichkeit und Zerbrechlichkeit der Erde sichtbar. Die Möglichkeit, hautnah an seinem Leben als Wissenschaftler im Weltraum teilhaben zu können, stärkt das gesellschaftliche Bewusstsein für die Bedeutung von Forschung und begeistert insbesondere junge Menschen für Wissenschaft und Technik.

 

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Welches ist der schönste Konferenzort, den Sie kennen?

Die besten Konferenzorte sind nah an der Spitzenforschung und helfen den Teilnehmenden, eine neue Perspektive einzunehmen. Ich kenne einen besonderen Ort dieser Art: Dort wird zum Beispiel mit dem Alpha-Magnet-Spektrometer nach Dunkler Materie gesucht, mit dem Cold Atom Lab die Basis für neue Quantencomputer gelegt und mit dem Plasmakristall-Experiment neue Plasmaphysik erforscht. Gleichzeitig ist es der Ort des radikalsten Perspektivwechsels, der uns möglich ist. Mit Augenzwinkern: Bis es eine Konferenz auf einer internationalen Raumstation geben wird, wird es zwar noch eine Weile dauern, aber es gäbe bestimmt genügend Anmeldungen.

 

Sie stehen der touristischen Raumfahrt also sehr positiv gegenüber?

Ich denke es würde unserer Spezies guttun, wenn jeder Mensch einmal die Chance bekäme, die Erde von außen zu sehen.

Das schafft uns eine notwendig prägende Perspektive auf uns selbst und unseren fragilen Lebensraum. Auch wenn es dafür noch viele spannende Aufgaben gibt, insbesondere, um es nachhaltig zu gestalten, so bin ich doch überzeugt, dass die Reise in den Weltraum einmal so einfach sein wird, wie heutzutage das Fliegen.

 

Wie hat sich ihre Perspektive durch diesen Perspektivwechsel verändert?

In meiner Jugend schien mir unsere Erde unendlich groß und ich hatte keine Vorstellung davon, wie hauchdünn der Schleier unserer lebensspenden Erdatmosphäre ist. Als ich die Erde von außen gesehen habe, ist für mich die Endlichkeit und Zerstörbarkeit unserer Erde in den Vordergrund gerückt. Diese Perspektive auf uns selbst gehört – neben wissenschaftlichen Entdeckungen und internationaler Kooperation – zum Wertvollsten, das uns die astronautische Raumfahrt gibt

 

Welchen Bezug haben Sie zur DPG?

Eines der wichtigsten Dinge, die die DPG leistet, ist die Vernetzung innerhalb der Wissenschaft. Sie stellt die Forschung Einzelner in einen größeren Kontext und schafft Begegnungen zwischen Forschenden mit unterschiedlichem Blickwinkel auf gemeinsame Fragestellungen und Zukunftsthemen. Auch bei den Angeboten der DPG geht es also um den so wertvollen Perspektivwechsel und konstruktiven Austausch.

 

Was treibt Sie an, sich so stark in der Wissenschaftskommunikation, gerade auch im Bezug auf Kinder und Jugendliche zu engagieren?

Ich hatte das Glück, in einem Umfeld aufzuwachsen, das meine Neugier gefördert und beflügelt hat. Solch ein Glück hat nicht jeder. Deshalb ist es mir ein Herzensanliegen, jungen Menschen Denkanstöße zu geben und ihnen den Raum ihrer Möglichkeiten aufzuzeigen. Mir ist es wichtig, Kindern – und dabei besonders auch Mädchen – zu vermitteln: „Wenn ich Astronaut werden kann, dann könnt ihr das schon lange!“ Es ist für mich das größte Kompliment überhaupt, wenn Eltern auf mich zugehen und mir erzählen, dass ich ihre Kinder inspiriert habe, Wissenschaftlerin bzw. Wissenschaftler, Ingenieurin bzw. Ingenieur oder Astronautin bzw. Astronaut werden zu wollen.

 

Sie mussten sich gegen über 8.000 Bewerbende durchsetzen. Wie haben Sie das geschafft?

Ich bin kein Supermensch. Dieser Stereotyp von Astronauten stimmte noch nie, wir sind ganz normale Menschen mit ein paar Fähigkeiten, die für diesen Job gebraucht werden. Ich habe mich nicht beworben, weil ich damals überzeugt gewesen wäre, den großen Anforderungen an einen Astronauten gerecht zu werden, sondern weil mich der Traum beflügelte, es zumindest einmal zu versuchen. Wenn selbst ich also dem Stereotypen des Supermenschen aufgesessen war, dann gibt es vielleicht einige Mädchen und Jungs, denen es jetzt genauso geht. Das möchte ich ändern. Als Astronautin oder Astronaut muss man übrigens gar nicht etwas Spezielles ganz besonders gut können. Es ist viel wichtiger, ohne besonders ausgeprägte Schwächen ein Allrounder zu sein, also viele Eigenschaften und Begabungen in einer durchschnittlichen Weise mitzubringen.

 

Welche Aufgabe sehen Sie für die Physik in der Gesellschaft von morgen?

In meinem Physikstudium habe ich ein Grundverständnis für analytisches Denken, naturgesetzmäßige Abläufe und die Wissenschaft als stringente Disziplin mitbekommen. Diese Prägung hilft mir jeden Tag und lässt sich in jedem Beruf anwenden, dazu muss man gar nicht als Wissenschaftlerin oder Wissenschaftler arbeiten. Umso mehr erscheint es mir ein wertvoller Beitrag jeder Physikerin und jedes Physikers zu sein, physikalische Denkweisen und das physikalische Grundverständnis, also auch Intuition und gesunden Menschenverstand, in die Gesellschaft zu tragen.

 

Mit welchem Thema beschäftigte sich Ihre Abschlussarbeit?

Meine Abschlussarbeit hat sich mit der ersten Sekunde einer vulkanischen Eruption befasst, genauer mit der strombolianischen Eruptionsart. Das sind, wie bei Herr der Ringe beschrieben, wabernde Lavaseen, aus denen plötzlich Gasblasen aufsteigen und ihn zum Explodieren bringen. Dazu habe ich eine Messkampagne in der Antarktis durchgeführt, um mit drei Doppler-Radarsensoren die Eruptionsdynamik des Mt. Erebus Vulkans räumlich zu vermessen. Mich hat fasziniert, dass von diesem eigentlich einfachen Ablauf noch so wenig bekannt war. Dazu musste ich tatsächlich in die Antarktis reisen, weil der Mt. Erebus einer der besten Modellvulkane für diese Eruptionsart ist. So zeigte sich an meiner damaligen Arbeit eine interessante Parallele zur Raumfahrt, in der wir ja auch in unwirkliche, lebensfeindliche Umgebungen vordringen müssen, um über Dinge zu lernen, die direkt vor unserer Haustür liegen.

 

Hat Sie die Antarktis auch auf ihre Aufenthalte in der Raumstation vorbereitet?

Ja, definitiv. Man lernt, unter schwierigsten Bedingungen Wissenschaft zu betreiben – beispielsweise bei -40 °C ein Radargerät zu betreiben. Auch die Einsamkeit und das Leben im Team dort sind sehr ähnlich zu jenen auf der Raumstation.

Ende letzten Jahres war ich auf einer Expedition der NASA zur Meteoriten-Suche in der Antarktis. Wir waren dort weiter entfernt von jedem menschlichen Leben, als wir es auf der Raumstation waren, die ja in 400 km Höhe kreist. Die Meteoriten, die wir so weit entfernt vom menschlichen Leben gefunden haben, verraten uns jetzt etwas über die Entstehung der Erde und kosmische Bedrohungen – offenbar für uns alle relevant.

 

Welche Fragestellungen der Physik begeistert Sie heute am meisten?

Die großen Unbekannten sind für mich als Entdecker am interessantesten, beispielsweise in der Kosmologie, der Astronomie oder Quantenphysik. Mich reizen Dinge, die wir noch nicht grundlegend verstanden haben. Dort ist noch unglaublich viel Raum, Neues zu entdecken. Einige solcher Experimente führen wir auch auf der ISS durch: Mit dem Alpha-Magnetic-Spectrometer vermessen wir womöglich Dunkle Materie. Das Cold Atom Lab beinhaltet das am längsten existierende Bose-Einstein-Kondensat, das Menschen jemals erzeugt haben.

 

Was möchten Sie dem wissenschaftlichen Nachwuchs mitgeben?

Neben der physikalischen Intuition ist es wichtig, zu träumen und zu wagen. Lasst euch nicht von vermeintlich pragmatischen, „gut gemeinten“ Tipps von euren Träumen abbringen. Macht euch von den Erwartungen anderer frei, hört in euch selbst hinein und überlegt, was zu euch passt. Dazu braucht es auch manchmal den Mut, neue Pfade zu beschreiten oder die existierenden Pfade ganz zu verlassen. Diesen Mut wünsche ich euch von ganzem Herzen!

 

Physik ist wie...

Physik ist schonungslose Logik, die durch ihre Grundgesetze pur und rein ist, und dadurch wunderschön, weil sie keinen Raum lässt für Spekulation oder Verdrehungen. Das ist in der jetzigen Zeit besonders wichtig.