Dunkle Materie in der Milchstraße
Ausgabe 16 | März 2013 | „Dunkle Materie in unserer Nähe wurde bestätigt. Irdische Experimente haben die Chance, sie direkt nachzuweisen.“ - Johanna Stachel, Präsidentin der Deutschen Physikalischen Gesellschaft
Download: Physikkonkret 16 - Dunkle Materie in der Milchstraße [PDF]
Unsere Milchstraße ist ein Beispiel für eine Spiralgalaxie: Der größte Teil ihrer Sterne befindet sich in einer dünnen Scheibe, die in spiralförmige Arme gegliedert ist und um ihr Zentrum rotiert. In dieser Scheibe liegt auch unsere Sonne, etwa 25.000 Lichtjahre (Lj) vom Zentrum der Milchstraße entfernt. Sterne und andere Himmelskörper machen die gewöhnliche, sichtbare Masse unserer Galaxie aus. Die Leuchtkraft der Galaxie nimmt nach außen ab, da zum Rand hin der Abstand zwischen den Sternen zunimmt.
Würde die Masse der Milchstraße ebenso wie die Leuchtkraft exponentiell nach außen abfallen, müssten auch die Rotationsgeschwindigkeiten der Sterne um das Zentrum nach außen abfallen (siehe Abb. 1). Aber selbst in großen Abständen (> 50.000 Lj) sind die Geschwindigkeiten der Sterne weitgehend unabhängig von der Entfernung zum Zentrum. Dies wird darauf zurückgeführt, dass die Scheibe der Milchstraße von einem großen, annähernd kugelförmigen Gebilde aus dunkler Materie umgeben ist, einem sog. dunklen Halo.
Die Zusammensetzung der dunklen Materie ist unbekannt. Bislang können Forscher nur vermuten, dass sie aus schwach wechselwirkenden, massereichen Elementarteilchen, sog. WIMPs (weakly interacting massive particles), bestehen könnte. Ziel verschiedener irdischer Experimente ist der direkte Nachweis dieser Materieteilchen, denen die Erde auf ihrem Weg mit der Sonne um das Zentrum der Milchstraße ausgesetzt sein sollte.
Ein weiterer Ansatz ist, die Menge dunkler Materie in der Umgebung der Sonne und damit auch der Erde zu ermitteln, und zwar aus der Bewegung der Sterne in Sonnennähe. Problematisch daran ist jedoch, dass nicht nur die dunkle, sondern auch die gewöhnliche Materie diese Bewegung beeinflusst. Aber auch deren Menge ist nur schwer exakt zu bestimmen. Die Menge der dunklen Materie ließe sich erst dann einigermaßen abschätzen, wenn man den Anteil der gewöhnlichen Materie zuverlässig abziehen könnte.
In großer Höhe – jenseits von etwa 4.500 Lj über der galaktischen Scheibe – wird der Einfluss der dunklen Materie immer dominanter, da die gewöhnliche Materie mit zunehmender Höhe immer weniger wird (s. Abb. 3). Wenn man die Geschwindigkeiten der Sterne in großer Höhe messen könnte, ließe sich der Beitrag der dunklen Materie zur Bewegung der Sterne beurteilen. So könnte man Rückschlüsse auf die Menge der dunklen Materie in unserer Nachbarschaft ziehen.
Aus Daten dieser Art war kürzlich das Ergebnis abgeleitet worden [1], dass es in der Umgebung der Sonne gar keine dunkle Materie gebe: Die sichtbare Materie allein reiche aus, um die Bewegungen der nahen Sterne zu erklären. Damit wären natürlich alle irdischen Experimente zum direkten Nachweis dunkler Materie sinnlos geworden.
Eine weitere, genaue Auswertung der Bewegung von Sternen bis 13.500 Lj über der galaktischen Scheibe hat jedoch eine Dichte der dunklen Materie im Sonnensystem ergeben, die etwa einem Proton in drei Kubikzentimetern entspricht [2]. Sie bestätigt die Erwartungen, die auch den irdischen Experimenten zugrunde liegen und lässt hoffen, dass die Teilchen der dunklen Materie direkt nachgewiesen werden können.
Literatur:
[1] Moni Bidin, C., Carraro, G., Méndez, R. A., Smith, R. „Kinematical and Chemical Vertical Structure of the Galactic Thick Disk. II. A Lack of Dark Matter in the Solar Neighborhood“, The Astrophysical Journal 751, S. 30 (2012)
[2] Bovy, J., Tremaine, S. „On the local dark matter density“, The Astrophysical Journal 756, S. 89 (2012)
Die Deutsche Physikalische Gesellschaft dankt ihrem Autor Matthias Bartelmann