01.01.1999

der Deutschen Physikalischen Gesellschaft

der Deutschen Physikalischen Gesellschaft

Quantenverschwörung per Telefonkabel

Albert Einstein wollte nicht glauben, daß es in der Natur so seltsam zugeht, wie es die Quantentheorie vorhersagt. Es ist schon recht irritierend, daß sich Atome oder Elementarteilchen ganz anders verhalten, als es unsere Alltagserfahrung erwarten läßt: Unbeobachtet kann sich solch ein einzelnes Teilchen an mehreren Orten zugleich befinden. Paare von Teilchen können sich sogar "verschwören" und koordiniert bewegen. Was Einstein wirklich beunruhigte war indes, daß dieses seltsame Verhalten auch dann noch auftreten soll, wenn man die atomaren Dimensionen verläßt und zum Beispiel ein Teilchenpaar zwingt, seine Verschwörung über viele Kilometer hinweg aufrecht zu erhalten. Nach Einsteins Meinung ging die Quantentheorie in diesem Punkt zu weit. Doch er hat sich geirrt, wie ein in der Schweiz durchgeführtes Experiment zeigt, bei dem zwei Telefonkabel eine wichtige Rolle spielen. Was es damit auf sich hat, berichtet Nicolas Gisin von der Universität Genf auf der Frühjahrstagung der Deutschen Physikalischen Gesellschaft, die vom 15. - 19. März in Heidelberg stattfindet.

Der Ort der Quantenverschwörung ist ein Fernsprechamt im Stadtzentrum von Genf. Hier haben Gisin und seine Mitarbeiter rotes Laserlicht auf einen Kaliumniobatkristall gerichtet, der jeweils ein rotes Lichtquant in zwei infrarote Quanten spalten kann. Ihre gemeinsame Herkunft macht diese beiden Photonen zu einem verschworenen Paar: Ihr Verhalten ist selbst über große Entfernung hinweg abgestimmt. Um dies zu demonstrieren, erzeugen die Wissenschaftler viele Photonenpaare. Dann trennen sie die beiden Photonen eines jeden Paares und lassen sie durch zwei verschiedene Glasfaserkabel der Telefongesellschaft Swisscom laufen, die Genf mit den 4 bzw. 7 Kilometer entfernten Orten Bellevue und Bernex verbinden. Dort angekommen, sind die beiden Photonen mehr als 10 Kilometer voneinander entfernt.

An ihrem Ende in Bellevue bzw. Bernex verzweigen sich die Glasfaserkabel jeweils in einen rechten und einen linken Strang. Da sich ein Photon in der Glasfaser nicht teilen kann, muß es sich entscheiden, ob es den linken oder den rechten Weg einschlägt. Wie es sich letztlich entscheidet, hängt nur vom Zufall ab: Keine Eigenschaft des einzelnen Photons deutet darauf hin, welche Wahl es treffen wird. Mit einem geeigneten Gerät messen die Wissenschaftler, daß die Hälfte der ankommenden Photonen nach links fliegt und die übrigen nach rechts. Doch beim Vergleich der Meßergebnisse von Bellevue und Bernex - diesmal mit Hilfe normaler Datenleitungen - tritt die Verschwörung der Photonenpaare zu Tage. Bei allen Paaren haben sich beide Lichtquanten spontan für denselben Weg entschieden. Durch geringfügige Änderung der Versuchsbedingungen kann man übrigens auch erreichen, daß die beiden Photonen stets verschiedene Wege einschlagen. Auch über 10 Kilometer hinweg bleiben die beiden Lichtquanten miteinander verschworen.
Die Ergebnisse des Genfer Experiments sind völlig im Einklang mit der Quantentheorie. Sie lassen sich indes nicht durch die Annahme erklären, daß jedes einzelne Photon gewissermaßen schon vorher weiß, wie es sich an der entscheidenden Gabelung der Glasfaser verhalten soll. Andererseits ist es wegen des großen Abstands der Photonen voneinander praktisch ausgeschlossen, daß die Entscheidung des einen Photons die des anderen beeinflussen kann. Nur die Quantentheorie gibt eine überzeugende Antwort: Durch die Art, wie die Photonen paarweise entstehen, bleibt ihr weiteres Schicksal verknüpft. An der Quantentheorie führt also keine Weg vorbei, so bizarr uns auch manche ihrer Vorhersagen erscheinen mögen.

Weitere Informationen:

Prof. Dr. Nicolas Gisin
Université de Genève
20 Rue de l' École de Médecine
CH-1211 Genève, Schweiz
Tel.: 0041-22-7026595
Fax: 0041-22-7810980
E-Mail:

Prof. Dr. Klaus Wandelt
Institut für Physikalische Chemie
Universität Bonn
Tel.: 0228 732253
Fax.: 0228 732515
E-Mail: