Machen Menschen das Wetter?

Industrialisierung und Bevölkerungswachstum beeinflussen das Klima

Presseinformation zur 36. Physikertagung in Essen vom 27.9. bis 2.10.1971

⇒ Originaldokument "Machen Menschen das Wetter?"

 

Der Wunsch des Menschen, das Wetter nach eigenen Vorstellungen zu machen, ist so alt wie die Menschheit selbst. Doch es blieb bislang bei dem Wunschtraum, denn auf die natürlichen Faktoren, die das Klima bestimmen, konnte der Mensch keinen Einfluß nehmen. Seit einigen Jahren verdichten sich jedoch die Anzeichen, daß der Mensch nicht nur Regen machen kann, sondern auch das Klima langfristig beeinflußt. Auf der 36. Physikertagung, die gemeinsam von der Deutschen Physikalischen Gesellschaft und dem Verband Deutscher Meteorologischer Gesellschaften in Essen veranstaltet wird, sprach Professor Hermann Flohn (Bonn) über die Auswirkungen der menschlichen Tätigkeit auf das Klima. Noch sind die beobachtbaren Effekte sehr gering. Geht aber die Industrialisierung und die Bevölkerungsexplosion ungehindert weiter, dann wird spätestens in zwei bis drei Generationen der Punkt erreicht, an dem unvermeidlich irreversible Folgen globalen Ausmaßes eintreten.

Bei der Einwirkung menschlicher Tätigkeit auf das Klima müssen direkte – über den C02-Gehalt, die atmosphärische Trübung und die Zufuhr „künstlicher“ Wärmeenergie – und indirekte Effekte, die sich aus der weitgehenden Umwandlung der natürlichen Vegetation ergeben und den Wasserhaushalt der Kontinente modifizieren unterschieden werden. Im einzelnen führte Professor Flohn aus:

Der CO2-Gehalt der Atmosphäre steigt seit Beginn der Industrialisierung stetig an. Das durch den Verbrauch fossiler Brennstoffe zugeführte Kohlendioxyd bleibt aber nur etwa zur Hälfte in der Atmosphäre, während der Rest im Ozean und in der Biosphäre gespeichert wird. Die jährliche Zunahme des CO2-Gehaltes schwankt um 0.7 ppm; in den Jahren 1969-71 stieg sie auf etwa 1.3 ppm an. Der mittlere CO2-Gehalt liegt jetzt bei 322 ppm, also 11% über dem Normalwert. Hält die Zunahme des Brennstoffverbrauches an, dann erreichen wir im Jahre 2.000 einen Wert zwischen 370 und 380 ppm (1.900: 28oppm). Die Wirkung auf das Klima besteht in einer Erwärmung der Troposphäre. Die Verdoppelung des C02-Gehaltes entspricht einer Zunahme der mittleren Temperatur der Erdoberfläche um 2.2°. Die derzeitige mittlere Wachstumsrate von 0.7 ppm entspricht einer Erwärmung um 5 Milligrad pro Jahr.

In allen Industriegebieten der Erde werden große Mengen von Aerosolpartikeln emittiert. Ihre Größe erstreckt sich über einen weiten Bereich (etwa 10-6 bis 10-2 cm). Die kleinen Partikel bleiben lange in der Atmosphäre und bewirken eine globale Zunahme der Trübung. Der Trübungskoeffizient beträgt in sehr reiner Luft (Hochgebirge) etwa 0,02, in den Gebieten stärkster Luftverschmutzung jedoch 0.20 - 0.50. Seine Zunahme seit Beginn der Industrialisierung wird auf 5o% geschätzt. Neben diesen Punktquellen gibt es weitere Tropengebiete von mindestens 10 Mill. km2, in denen der Mensch alljährlich die Savanne abbrennt: hier werden flächenhaft die gleichen Trübungswerte gemessen wie in den schlimmsten Industrielandschaften, etwa in Tokyo.

Die größeren Partikel fallen infolge Gravitation und Regen relativ rasch aus. Nur in den Quellengebieten vermeiden sie die langwellige Ausstrahlung, sodaß die Nachttemperaturen heraufgesetzt werden: das ist typisch für das Stadtklima.

Der ständig wachsende Energieverbrauch liefert einen nicht vernachlässigbaren Anteil am Energieumsatz an der Erdoberfläche. Zwar sind Hydroelektrizität und geothermische Energie nur Umwandlungen natürlicher Energie, aber die Verbrennung fossiler Brennstoffe (Kohle, Erdöl, Erdgas) und die nukleare Energie stellt eine zusätzliche Energiezufuhr dar. Alle Energieumsetzungen werden letzten Endes wieder in Wärme verwandelt und können als vollständige Verbrennung behandelt werden. In 2-3 Generationen wird der Anteil der zusätzlichen Energiezufuhr so anwachsen, daß er neben der natürlichen Energiequelle nicht mehr vernachlässigt werden kann. Da die Versorgung der wachsenden Weltbevölkerung mit Nahrungsmitteln und Wasser eine weitere Zunahme der Wachstumsrate erzwingt, ist dieser Effekt auf lange Sicht von besonderer Bedeutung.

Die lokale Wärmeinsel im Ruhrgebiet ist gut nachweisbar; die Mitteltemperaturen liegen 0.5-1° über denen des Freilandes, die Niederschlagsmenge in Schauern und Gewittern liegt ebenfalls um mindestens 5% über der Umgebung, während die Sonnenscheindauer und die Globalstrahlung um 5-lo% zu klein sind; im Wetter sind diese Unterschiede noch bedeutsamer. Etwa 11% der Gesamtfläche der Kontinente ist im Laufe der letzten 8.000 Jahre in Ackerland umgewandelt worden, rund 20% dienen als Weidefläche, wobei ein nicht geringer Teil aus ehemaligem Waldland umgewandelt worden ist; mindestens ein Drittel der Wäldfläche der Kontinente (31%) befindet sich nicht mehr im Naturzustand. Diese Umwandlung der natürlichen Vegetation hat z.T. erhebliche Änderungen im Wärmehaushalt zur Folge. Besonders drastisch sind die Änderungen in bewässertem Land (etwa 1.2% der Fläche der Kontinente): hier kühlt der feuchte Boden die Luft von unten ab. Das Weideland ist als Folge der verschiedenartigen Nutzungsmethoden stark verändert; jährliches Abbrennen, Überweidung und Bodenrosion haben die ursprüngliche Vegetation vielfach zerstört. Daß sich heute die Sahara mit etwa 1 km pro Jahr nach beiden Seiten ausweitet, ist nachweisbar nicht eine Folge einer Klimaänderung, sondern der überstarken Nutzung der natürlichen Reserven, so auch der Nutzung fossilen Grundwassers aus der Eiszeit, das heute nicht mehr ergänzt werden kann und in alarmierendem Ausmaß absinkt.

Von entscheidender Bedeutung ist schließlich die aktuelle Verdunstung die in stärkstem Maße manipuliert wird. Das wirkt sich jetzt schon quantitativ aus: eine Neuberechnung des Wasserhaushaltes der Bundesrepublik Deutschland hat ergeben, daß trotz einer Zunahme der Niederschläge um 3% der Abfluß um 12% zurückgegangen ist: das ergibt eine Zunahme der Verdunstung um mindestens 15%.

In absehbarer Zukunft wird das Wasserproblem - neben und als Folge der Bevölkerungsexplosion – Thema Nr. 1 sein, noch vor dem Energieproblem. Der Wasserverbrauch pro Kopf steigt ständig an; die Verwendung neuer, auf höheren Ertrag gezüchteter Getreidesorten, die die drohende Nahrungskrise wenigstens etwas hinausschieben, verlangt zugleicht eine höhere Wasserzufuhr.