SWK-Gutachten „Kompetenzen für den erfolgreichen Übergang von der Sekundarstufe I in die berufliche Ausbildung sichern“

Gemeinsame Stellungnahme von naturwissenschaftlichen und naturwissenschaftsdidaktischen Gesellschaften und Fachverbänden zur Weiterentwicklung des naturwissenschaftlichen Unterrichts (Stand: 25. Juni 2025)

Wir begrüßen ausdrücklich die im aktuellen Gutachten der Ständigen Wissenschaftlichen Kommission (SWK) formulierten Zielsetzungen für eine Weiterentwicklung des naturwissenschaftlichen Unterrichts.
Die stärkere Ausrichtung an gesellschaftlich relevanten Fragestellungen und beruflichen Anforderungen sowie die Förderung forschend-entdeckenden, projektbasierten Lernens sind aus unserer Sicht zentrale Schritte hin zu einem zeitgemäßen, bedeutsamen und motivierenden naturwissenschaftlichen Unterricht. Ebenso unterstützen wir im Sinne der Bildungsgerechtigkeit die Forderung nach Berücksichtigung der unterschiedlichen Lernvoraussetzungen und stärkerer individueller Förderung von Schülerinnen und Schülern.

Kritische Bewertung eines „Verbundfaches Naturwissenschaften“
Kritisch betrachten wir die im SWK-Gutachten auf Seite 57 aufgebrachte Option (Empfehlung 10.5) eines „Verbundfaches Naturwissenschaften“. Zum gegenwärtigen Zeitpunkt lehnen wir aus fachlicher, fachdidaktischer sowie bildungspolitischer Perspektive das „Verbundfach Naturwissenschaften“ aus den folgenden Gründen ab:

  1. Fachliche Tiefe und systematischer Kompetenzaufbau gefährdet:
    Die naturwissenschaftlichen Einzelfächer – Biologie, Chemie und Physik – verfügen jeweils über relevante Denk- und Arbeitsweisen, fachspezifische Konzepte sowie eigene Fachsprachen. Die Einführung eines „Verbundfaches Naturwissenschaften“ läuft Gefahr, diese fachspezifischen Perspektiven auf oberflächliche Lernprozesse zu reduzieren, die den Aufbau tragfähiger fachlicher Konzepte und Kompetenzen erschweren.
  2. Lehrkräftemangel und fachfremder Unterricht:
    Schon heute ist der naturwissenschaftliche Unterricht häufig von fachfremdem Einsatz der Lehrkräfte geprägt. Die Einführung eines „Verbundfaches Naturwissenschaften“ würde diesen Zustand nicht verbessern, sondern verschärfen: Nur sehr wenige Lehrkräfte sind aktuell in allen drei Fächern ausgebildet, sodass entweder ein fachfremdes Unterrichten unvermeidbar ist oder fachliche Inhalte des weniger vertrauten Fachs vermieden werden. Das gefährdet die Qualität des Unterrichts grundsätzlich, weil systemisch fachfremder Unterricht in der Breite angelegt wäre.
  3. Fehlende empirische Evidenz:
    Bislang existiert keine belastbare Datenlage, die zeigt, dass ein „Verbundfach Naturwissenschaften“ einen tatsächlich kohärenteren Kompetenzaufbau oder bessere Lernleistungen zur Folge hätte. Die Erfahrungen aus Ländern wie der Schweiz zeigen, dass eine flächendeckende Umstellung auf ein alle Teildisziplinen angemessen berücksichtigendes, fundiert angelegtes „Verbundfach Naturwissenschaften“ mit erheblichem finanziellem und langfristigem Aufwand verbunden ist.
  4. Gefahr eines bildungspolitischen Sparmodells:
    Angesichts des akuten Lehrkräftemangels besteht die Gefahr, dass ein „Verbundfach Naturwissenschaften“ nicht aus pädagogisch-didaktischer Überzeugung, sondern vor allem aus kurzfristigen organisatorischen oder finanziellen Gründen eingeführt wird. Ein solcher, pragmatischer Zugang könnte jedoch die fachliche Qualität und die Entwicklung naturwissenschaftlicher Kompetenzen deutlich beeinträchtigen. Zudem erschwert das föderale Bildungssystem in Deutschland eine einheitliche Umsetzung: Die Ausgestaltung des Faches könnte von Bundesland zu Bundesland stark variieren und die ohnehin bestehende strukturelle Uneinheitlichkeit noch weiter verstärken. Dies würde nicht nur Herausforderungen für die Bildungsplanung bergen, sondern sich auch direkt auf die Lernbedingungen und Bildungschancen der Schülerinnen und Schüler auswirken – insbesondere bei Schulwechseln oder beim Übergang in weiterführende Bildungsgänge.

Kooperation statt Verbund - zur Weiterentwicklung des naturwissenschaftlichen Unterrichts
Vor dem skizzierten Hintergrund sprechen wir uns für den Erhalt und eine engere Kooperation der Einzelfächer, Biologie, Chemie und Physik mit ihren jeweiligen fachlichen Profilen in der Sekundarstufe I aus. Zugleich sollten aber künftig gezielt Synergien gefördert und besser genutzt werden – zum Beispiel durch gemeinsame curriculare Schwerpunkte, abgestimmte Kompetenzen, fächerverbindende Projekte bis hin zur Förderung von vertiefter kollegialer Zusammenarbeit. Durch die engere Kooperation der Einzelfächer können zentrale Anliegen des SWK-Gutachtens – etwa die stärkere Betrachtung gesellschaftlich relevanter Fragestellungen, forschend-entdeckendes Lernen, Inklusion oder sprachsensibler Fachunterricht – wirkungsvoll und qualitativ hochwertig weiterentwickelt werden.

Ziel muss es sein, sowohl die Anschlussfähigkeit zwischen den Fächern als auch die Zusammenarbeit der Fachlehrkräfte zu verbessern, sowie diese Ansätze empirisch abzusichern. Um dies zu erreichen, schlagen wir folgende Maßnahmen vor:

  • Entwicklung besser fachübergreifend abgestimmter Bildungsstandards, die gemeinsam mit den naturwissenschaftlichen und fachdidaktischen Fachgesellschaften erarbeitet werden. Sie sollen die Grundlage für eine kohärente curriculare Kooperation bilden und eine abgestimmte Gestaltung der Stundentafel ermöglichen.
  • Förderung fächerverbindender Zusammenarbeit, etwa durch schulinterne und schulübergreifende Fortbildungsformate, gezielte Curriculumsentwicklung sowie durch den Aufbau geeigneter Unterstützungsstrukturen.
  • Verankerung der Kooperationsperspektive in der Lehrkräftebildung in allen Ausbildungsphasen. Kooperation darf nicht als Zusatz verstanden werden, sondern muss als Qualitätsmerkmal fachlichen und fachdidaktischen Handelns etabliert werden.
  • Ausbau von fachübergreifenden und fächerverbindenden Fortbildungen aktiver Lehrkräfte durch Angebote, die gezielt kooperative Elemente und gemeinsame Planung fördern.
  • Aufbau einer belastbaren empirischen Grundlage, um integrative Modelle im naturwissenschaftlichen Unterricht evidenzbasiert bewerten zu können, bevor tiefgreifende strukturelle Veränderungen vorgenommen werden.

Fazit:
Aus den genannten Gründen befürworten wir nachdrücklich ein „Kooperationsmodell Naturwissenschaften“. Entwicklung, Erprobung und Evaluation dieses Kooperationsmodells bedürfen dabei der Koordination ebenso wie einer finanzieller Förderung. Im Sinne eines möglichst einheitlichen Vorgehens sollten alle Maßnahmen länderübergreifend angelegt sein.
Die Unterzeichner dieser Stellungnahme stehen für einen naturwissenschaftlichen Unterricht, der innovativ und zukunftsgerichtet ist, ohne die Fachlichkeit und wissenschaftliche Tiefe zu vernachlässigen. Nur so kann eine qualitativ hochwertige, gerechte und inklusive naturwissenschaftliche Bildung langfristig gesichert und gestärkt werden. Eine hochwertige Bildung im Bereich der Naturwissenschaften ist dabei weder Selbstzweck noch Luxus. Sie bildet vielmehr die Basis, um Falschinformationen zu erkennen und Manipulationen vorzubeugen. Darüber hinaus legt sie die Grundlage für den Übergang in die so wichtigen MINT-Berufe.
Das Ziel einer qualitativ hochwertigen naturwissenschaftlichen Bildung lässt sich allerdings nur erreichen, wenn sich auch die allgemeinen Rahmenbedingungen in der schulischen Praxis – genannt seien hier exemplarisch die Ausstattung der naturwissenschaftlichen Fachräume und die praktische Umsetzbarkeit von Experimentiersituationen – deutlich verbessern.

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⇒ Stellungnahme als PDF

 

Kontakt: c/o VBIO e. V. - Dr. K. Elbing – Telefon 030-27891916 – E-Mail: