Stellungnahme der Deutschen Physikalischen Gesellschaft zur geplanten Novellierung des Wissenschaftszeitvertragsgesetzes

In der Diskussion über die Neufassung des WissZeitVG nimmt die Deutsche Physikalische Gesellschaft aus ihrer spezifischen Perspektive als physikalische Fachgesellschaft wie folgt Stellung:

Die Lebens- und Karrierewege von Absolvent:innen eines Physikstudiums sind vielfältig und daher kaum mit einheitlichen Regeln zu begleiten. Während eine Promotions-Phase (R1*) auf unterschiedliche Berufe in der privaten Wirtschaft oder im öffentlichen Dienst vorbereitet und eine Postdoc-Phase (R2) zur Orientierung und der Forschung an befristeten Projekten dient, streben fortgeschrittene Nachwuchswissenschaftler:innen (R3) eine Professur (R4) an.

Befristete Arbeitsverhältnisse sind für Forschung und Lehre an Universitäten konstitutiv und daher für Promovierende (R1) und Postdocs (R2) - im Rahmen typischer Ausbildungs- und Projektdauern – unabdingbar.
In der R3-Phase sind belastbare Entfristungsperspektiven wichtig, um herausragende Talente in der Wissenschaft zu halten und um exzellente Professor:innen an Universitäten zu gewinnen --insbesondere angesichts des demographischen Wandels. Sie geben Nachwuchswissenschaftler:innen die Sicherheit, ihre Forschungsleistung im Einklang mit ihrer Lebens- und Familienplanung voll entfalten zu können und fördern deren Gleichstellung. Eine Erhöhung des Verhältnisses von unbefristeten zu befristeten Stellen ist daher anzustreben.

Strikte (gesetzliche) Vorgaben für Befristungsdauern sind in der R3-Phase weder für die Forschungsplanung noch für die Diversität individueller Lebensführungen förderlich. Die Möglichkeit verschiedener Karrierewege (Habilitation, Juniorprofessur, Leitung einer Nachwuchsgruppe, finanziert durch Haushalts- oder Drittmittel) zur Professur ist sinnvoll, sofern diese die gleichen Möglichkeiten zur Qualifizierung bieten, insbesondere mit Blick auf Gewährung wissenschaftlicher Selbstständigkeit und Betreuung von Qualifizierungsarbeiten. Eine Höchstbefristungsdauer in der Phase R2/R3 auf drei Jahre (wie im Vorschlag des BMBF vom 17.03.2023) ist zu kurz für eine Qualifizierung für eine universitäre Professur und führt in der Praxis zu unsicherer Anschlussfinanzierung durch Drittmittel oder zu einer Abwanderung ins Ausland, wodurch Karrierewege in Deutschland strukturell benachteiligt werden.

Damit Universitäten der Verantwortung für ihre Angestellten gerecht werden und gleichzeitig ihre hohe Forschungs- und Lehrleistung aufrechterhalten können, ist die Schaffung zusätzlicher unbefristeter Stellen notwendig. Diese müssen durch eine signifikante Erhöhung der Grundausstattung sowie der Projektpauschalen bei Drittmitteln finanziert werden, die für forschungsbegleitende Stellen zusammengeführt werden können. Damit ist die notwendige Diversifizierung akademischer Karrierewege mit permanenten Stellen neben der Professur zu etablieren.

Eine Drittmittelfinanzierung der forschungstragenden Nachwuchswissenschaftler:innen (R3) darf nicht zu einer Erhöhung ihrer Karriererisiken führen. Wünschenswert wäre eine kompetitive Antragsmöglichkeit für unbefristete, von Bund und Ländern finanzierte Ad-personam-Stellen für langfristige Projekte in Forschung und Lehre. Dies ist für die nachhaltige Sicherung eines attraktiven Wissenschaftsstandorts Deutschland erforderlich.

 ⇒ Stellungnahme als pdf [111 kB]

 

Der Vorstandsrat der DPG hat diese Stellungnahme am 19.03.2023 beschlossen. Die DPG ist die älteste und weltweit größte nationale physikalische Fachgesellschaft. Sie versteht sich als Forum und Sprachrohr der Physik und verfolgt als gemeinnütziger Verein keine wirtschaftlichen Interessen. Zu ihren über 50.000 Mitgliedern zählen Wissenschaftler:innen jeglicher Karrierestufe, Student:innen, aber auch Physiklehrer:innen und zahlreiche Physiker:innen, die in Wirtschaft und Industrie oder anderweitig tätig sind. Diese Stellungnahme wurde von Vertreter:innen der unterschiedlichen Mitgliedsgruppen der DPG erarbeitet; sie versucht einen Ausgleich der jeweiligen Interessen zu erreichen.

* nach der Definition des European Framework for Research Careers