Topologie – von einer eleganten mathematischen Theorie zum verlustfreien Stromtransport
Ausgabe 30 | April 2017 | „Es ist faszinierend, wie das abstrakte Gebiet der Topologie Einzug in die Physiklabore gehalten hat und künftig einen Platz in unserem Alltag einnehmen könnte.“ - Rolf Heuer, Präsident der Deutschen Physikalischen Gesellschaft
Die Topologie ist eine Eigenschaft des Raumes, die unter Verformung wie Biegen, Strecken oder Dehnen erhalten bleibt. In Festkörpern beeinflusst die Topologie deren elektronische Eigenschaften und erzwingt neue Zustände. Zugleich kommt hier der quantenmechanische Charakter der Elektronen zum Vorschein. Das eröffnet neue technologische Möglichkeiten.
Quantenmechanisch haben Elektronen neben der Ladung einen sogenannten Eigendrehimpuls (Spin) – sie scheinen sich um ihre eigene Achse zu drehen. Die Wechselwirkung dieses Eigendrehimpulses mit der Bahnbewegung der Elektronen im Festkörper ist die Ursache für neue Effekte: Im Unterschied zum konventionellen Hall-Effekt, bei dem bewegte Ladungen unter dem Einfluss eines Magnetfeldes und der Lorentz-Kraft je nach Vorzeichen der Ladung senkrecht zur Bewegungsrichtung nach rechts oder links abgelenkt werden, kommt es in topologischen Materialien zu neuen Hall-Effekten: Für nichtmagnetische Metalle zum sogenannten Spin-Hall-Effekt, für magnetische Metalle zum anomalen Hall-Effekt (Abb. 1) [1].
Die Physik beschreibt die topologischen Eigenschaften durch ein hypothetisches Feld-Berry-Curvature genannt (nach Michael Berry [2]). Es wirkt wie ein Magnetfeld und verursacht ebenfalls eine Ablenkung der Elektronen senkrecht zu ihrer Bewegungsrichtung [3]. Im Unterschied zur Lorentz-Kraft werden die Elektronen nun aber entsprechend ihres Drehsinns nach rechts oder links sortiert. Beim SpinHall-Effekt baut sich dabei jedoch keine elektrische Spannung auf, sondern es fließt ausschließlich ein sogenannter Spin-Strom IS.
Von besonderem Interesse sind topologische Isolatoren. An deren Oberfläche ist eine Symmetrie des Systems gebrochen. Infolgedessen können sich stabile, topologisch geschützte Zustände ausbilden. Diese können die sogenannte Bandlücke des Isolators überbrücken und das Material an den Grenzflächen leitend machen. Die Eigenschaften solcher topologischer Phasen haben David J. Thouless, J. Michael Kosterlitz und F. Duncan M. Haldane mit einfachen Modellen vorhergesagt [4], wofür sie im Jahr 2016 den Nobelpreis für Physik erhielten
Konkret bewegen sich beim Quanten-Hall Effekt (Abb. 2) [6] zwei Elektronen mit entgegengesetztem Spin unter dem Einfluss des Magnetfeldes in die gleiche Richtung und erzeugen so den quantisierten Beitrag zum Hall-Widerstand RK=h/e2 , für dessen Entdeckung der deutsche Physiker Klaus von Klitzing 1985 den Nobelpreis für Physik erhielt. Beim Quanten-Spin-Hall-Effekt [7] bewirkt das Berry-Curvature-Feld, dass sich Elektronen mit entgegengesetztem Spin in entgegengesetzte Richtung bewegen. Der Hall-Widerstand ist Null, es fließt aber ein Spinstrom. Der anomale Quanten Hall-Effekt [8] wird in magnetischen Systemen beobachtet. Hier bewegen sich einzelne spinpolarisierte Elektronen entlang des Randes und verursachen einen quantisierten Beitrag zum Hall-Widerstand. Da alle genannten Randströme topologisch geschützt sind, fließen sie verlustfrei.
Viele Forscher erhoffen sich davon künftige Anwendungen, wie zum Beispiel einen verlustfreien Stromtransport bei Raumtemperatur und energiesparende Elektronik.
Fußnoten
[1] N. Nagaosa, J. Sinova et al., Rev. Mod. Phys. 82, 1539 (2010)
[2] M. V. Berry, Proc. R. Soc. A 392, 1802 (1984)
[3] M.-C. Chang and Q. Niu, Phys. Rev. B 53, 7010 (1996)
[4] R. Thomale, Physik Journal 12, 24 (2016)
[5] S. Oh, Science 340,153 (2013)
[6] K. v. Klitzing, G. Dorda und M. Pepper, Phys. Rev. Lett. 45, 494 (1980)
[7] M. König et al., Science 318, 766 (2007)
[8] Cui-Zu Chang et al. Science 340, 167 (2013)
Die Deutsche Physikalische Gesellschaft dankt Ingrid Mertig von der Gruppe Quantentheorie der Festkörper der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg für die wissenschaftliche Beratung