Quantentunneln in der Makrowelt
Ausgabe 75 | Dezember 2025 | „Die Supraleitung findet bereits zahlreiche Anwendungen, beispielsweise in der Medizintechnik und Elektronik. Makroskopische Quantenphänomene ermöglichen nun neuartige, auf Supraleitung basierende Plattformen für Quanteninformationstechnologien.“ - Klaus Richter (DPG-Präsident)
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- Der Nobelpreis für Physik 2025 würdigt die drei Preisträger für die Beobachtung makroskopischer Quantenphänomene in supraleitenden elektrischen Schaltkreisen.
- Die Physik-Nobelpreisträger haben kollektives Tunneln und Energiezustände auf makroskopischer Skala nachgewiesen. Diese Energiezustände bilden eine der Grundlagen für moderne Quanteninformationstechnologien.
Nach der Quantentheorie können leichte Teilchen Barrieren „durchtunneln“. Die diesjährigen Nobelpreisträger in Physik – John Clarke (Berkeley), Michel Devoret (Santa Barbara) und John Martinis (Qolab) – haben in bahnbrechenden Experimenten demonstriert, dass dies auch für Millionen von Teilchen gleichzeitig möglich ist, und zwar in supraleitenden Schaltkreisen. Supraleitende Elektronen zeigen kollektives Verhalten, das zu unerwarteten Quantenphänomenen auf der makroskopischen Ebene führt [1,2]. Diese Arbeiten waren der Ausgangspunkt für gegenwärtige Durchbrüche in der Quantentechnologie. Zudem passt das Thema ausgezeichnet in das Internationale Jahr der Quantenwissenschaften. Der Tunneleffekt ist typisch für die Quantenphysik – das „Durchdringen von Wänden“ widerspricht unserer klassischen Intuition. Auf der mikroskopischen Ebene ist dieses Phänomen jedoch allgegenwärtig. Es liegt zum Beispiel dem radioaktiven Zerfall und der kovalenten chemischen Bindung zugrunde.
Die Preisträger zeigten, dass es neben dem „konventionellen“ Tunneleffekt für Elektronen einen zweiten, ganz andersartigen Tunneleffekt gibt: In einem Supraleiter wird die Gesamtheit der supraleitenden Ladungsträger durch eine makroskopische Wellenfunktion mit einer bestimmten Phase beschrieben. Ein Josephson-Kontakt koppelt zwei Supraleiter über eine dünne Isolatorschicht. Dieser Kontakt kann in zwei Zuständen vorliegen: einem mit dem Widerstand Null und einem zweiten mit endlichem Widerstand. Die Phasendifferenz zwischen den Supraleitern bestimmt den Suprastrom. Die Forscher initialisierten den Kontakt in dem Zustand mit Widerstand Null. Dieser ist aufgrund thermischen Rauschens nicht stabil, bei höheren Temperaturen kann das Schalten in den resistiven Zustand thermisch ausgelöst werden, was sich durch das Auftreten einer Spannung äußert. Sie stellten fest, dass die Schaltrate erwartungsgemäß mit der Abkühlung des Systems abnahm. Bei immer tiefer werdenden Temperaturen sank sie jedoch nicht weiter ab, sondern blieb konstant – ein Beweis dafür, dass der Kontakt zusätzlich auch durch Quantentunneln der makroskopischen Phasendifferenz aus dem widerstandslosen in den resistiven Zustand übergehen kann [1]. Die Forscher haben außerdem beobachtet, dass der Kontakt – genau wie ein Atom – eine diskrete Leiter höherer Energiezustände aufweist [2]. So wurde zum ersten Mal gezeigt, dass man eine Art künstliches Atom bauen und elektrisch kontrollieren kann.
Die Möglichkeit, atomähnliches Verhalten in einem makroskopischen Schaltkreis zu erzeugen, stieß in den folgenden Jahren auf großes Interesse. Verschiedene Arbeitsgruppen realisierten supraleitende Schaltkreise, die auch im Zeitverhalten Atomen ähneln [3]. Komplexere Chips wurden entwickelt, mit denen Quanteninformationen gespeichert und verarbeitet werden können. Gegenwärtig ist die supraleitende Technologie eine beliebte Plattform für die Realisierung von quantenlogischen Schaltkreisen [4]. Diese Entwicklung wird darüber hinaus die schon jetzt zahlreichen Anwendungen der Supraleitung (z. B. in der Medizintechnik oder der supraleitenden Elektronik) um ganz neue Aspekte erweitern.
Fußnoten und Quellen
- M. H. Devoret, J. M. Martinis, J. Clarke, “Measurements of Macroscopic Quantum Tunneling out of the Zero-Voltage State of a Current-Biased Josephson Junction,” Phys. Rev. Lett. 55, 1908 (1985).
https://doi.org/10.1103/PhysRevLett.55.1908 - J. M. Martinis, M. H. Devoret, J. Clarke, “Energy-Level Quantization in the Zero-Voltage State of a Current-Biased Josephson Junction,” Phys. Rev. Lett. 55, 1543 (1985).
https://doi.org/10.1103/PhysRevLett.55.1543 - Y. Nakamura, Yu. A.Pashkin & J. S. Tsai, “Coherent control of macroscopic quantum states in a single-Cooper-pair box,” Nature 398, 786 (1999).
https://doi.org/10.1038/19718 - E. M. Levenson-Falk, S. A. Shanto, “A review of design concerns in superconducting quantum circuits”, Mater. Quantum. Technol. 5, 022003 (2025).
https://doi.org/10.1088/2633-4356/ade10d
Die DPG dankt ihren Autor:innen Prof. Dr. Christoph Strunk von der Universität Regensburg, Prof. Dr. Elke Scheer von der Universität Konstanz sowie Prof. Dr. Ulrich Eckern von der Universität Augsburg.