Linke Tafel: Regt man ein Kalzium-Atom mit einem Laser in ein geeignetes Energieniveau an (hier das obere mit J=0 bezeichnete Niveau), so emittiert es nacheinander ein grünes und ein blaues Photon (grüne und blaue Schlangenlinie). Mittlere und rechte Tafel: Der Zerfall kann über zwei verschiedene Zwischenzustände erfolgen (hier mit mJ=-1 und mJ=+1 bezeichnet). Im ersten Fall dreht sich das grüne Photon wie eine rechtshändige und das blaue Photon wie eine linkshändige Schraube. Im zweiten Fall verhält es sich genau umgekehrt. Durch die Superposition beider Zerfallsprozesse ist das Photonenpaar daher bezüglich des Schraubensinns verschränkt.

Verschränkung in der Quantenwelt: „Spukhafte Fernwirkung“

Ausgabe 64 | Dezember 2022 | „Die ‚von niemandem verstandene Quantenmechanik‘ (Vermutung von R. Feynman) ist heute ein wichtiges und verlässliches Werkzeug in unserem Alltag: ein Großteil der Produkte, die auf dem Weltmarkt gehandelt werden, beruht darauf bis hin zur Definition des kg, welches auf dem Marktplatz um die Ecke zum Abwiegen genutzt wird.“ Joachim Ullrich, Präsident der Deutschen Physikalischen Gesellschaft

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  • Die drei diesjährigen Physik-Nobelpreisträger haben eines der rätselhaftesten Phänomene der Quantenwelt – die Verschränkung – mit ausgefeilten Experimenten bestätigt.
  • Diese Experimente und die Verschränkung legen den Grundstein für eine neue Ära der Quantentechnologie: von Sensoren über Kryptographie bis zu Computern.

In der Physik heißen zwei Objekte korreliert, wenn bloß bestimmte Kombinationen ihrer Eigenschaften auftreten. Nehmen wir der Anschauung halber an, dass Kekse ausschließlich rund oder eckig und knusprig oder weich sein können. Bei einem korrelierten Paar Kekse hätte dann zum Beispiel der zweite Keks immer genau die dem ersten entgegengesetzte Form und Konsistenz: Wäre Keks 1 beispielsweise rund und weich, so wäre Keks 2 eckig und knusprig. Solche korrelierten Paare könnte man leicht bereitstellen, indem man die Kekse passend sortiert.

In der Quantenwelt sieht die Sache anders aus. Dort können gewisse Eigenschaften nicht gleichzeitig exakt bestimmt werden und die Messung der einen Eigenschaft wirkt auf die andere zurück. Übertragen auf unser Keks-Gedankenexperiment würde das bedeuten, dass zum Beispiel ein runder Quanten-Keks vor der Messung keine definierte Konsistenz hat. Er ist gleichzeitig weich und knusprig – man spricht hier von einem Superpositionszustand. Gleiches gälte analog für die Form eines knusprigen Kekses.

Vor diesem Hintergrund untersuchten Albert Einstein, Boris Podolsky und Nathan Rosen (EPR) 1935 in einer theoretischen Studie einen sogenannten verschränkten Zustand zweier Quantenteilchen. Wiederum auf die Keks-Paare übertragen, würden die Korrelationen dieses verschränkten Zustandes erlauben, mit Sicherheit die Form und Konsistenz von Keks 2 vorherzusagen, indem man die entsprechenden Eigenschaften an Keks 1 misst.

Aus dieser Erkenntnis folgerten Einstein, Podolsky und Rosen sinngemäß, dass sowohl die Form als auch die Konsistenz von Keks 2 schon vor ihrer Messung festliegen und damit real existieren. Da die theoretische Beschreibung der Quantenwelt, die Quantenmechanik (QM), das nicht erlaubt, müsse sie also unvollständig sein. Denn ansonsten müsste es eine „spukhafte Fernwirkung“ geben, aufgrund derer sich die korrelierten Eigenschaften von Keks 2 just in dem Augenblick manifestieren, in dem an Keks 1 gemessen wird – eine Vorstellung, die Einstein, Podolsky und Rosen ablehnten.

Die Existenz einer erweiterten Theorie hielten Einstein, Podolsky und Rosen für möglich – und wünschenswert! In dieser wären die Form und Konsistenz von Keks 2 schon vor ihrer Messung durch uns verborgene Parameter festgelegt. Fast 30 Jahre später zeigte dann John S. Bell, dass für ausgewählte Messeinstellungen die von der QM vorhergesagten Korrelationen zwischen zwei Teilchen (Keksen) stärker sind, als man mit verborgenen Parametern – also mit einer klassischen Theorie ohne Quanteneffekte – erklären kann.

Der erste diesjährige Nobelpreisträger, John Clauser, entwickelte diese Idee weiter, um in einem Experiment mit verschränkten Paaren von Lichtteilchen (Photonen, siehe Abb. 1) zu überprüfen, ob die QM prinzipiell durch eine Theorie ersetzt werden kann, die verborgene Parameter verwendet. Seine Messungen bestätigten die Quantenmechanik. Da die Messeinstellungen aber schon vor der Erzeugung der Photonenpaare festlagen, konnte nicht ausgeschlossen werden, dass die Photonenpaare die Messeinstellungen bei ihrer Erzeugung kennen und ihren Zustand entsprechend anpassen.

Der zweite Laureat, Alain Aspect, entwickelte seine Experimente dergestalt weiter, dass er die Messeinstellungen umschalten konnte, nachdem ein korreliertes Photonenpaar die Quelle verlassen hatte: Das korrelierte Photonenpaar konnte also bei seiner Erzeugung die Messeinstellungen nicht kennen und somit konnten diese den Zustand des Paares nicht beeinflussen.

Der dritte Laureat, Anton Zeilinger, begann dann, die bemerkenswerten Eigenschaften verschränkter Quantenzustände zu nutzen. Unter anderem hat er ein Phänomen namens Quantenteleportation demonstriert, mit dem es möglich ist, einen unbekannten Zustand von einem Quantenteilchen auf ein anderes in beliebiger Ferne zu übertragen – mittels der „spukhaften Fernwirkung“, an die Albert Einstein nicht glauben wollte!

 


Die DPG dankt ihrem Autor Arno Rauschenbeutel von der Humboldt-Universität zu Berlin für die wissenschaftliche Beratung.