Netzausbau im Rahmen der Energiewende
Ausgabe 18 | Oktober 2013 | „Solange es keine ausreichenden, effizienten und bezahlbaren Speichermöglichkeiten für den fluktuierenden Strom aus Wind- und Solaranlagen gibt, ist der Bau von Hochspannungstrassen von Nord nach Süd notwendig und vordringlich. Die Realisierung dieser Leitungen und Konverteranlagen stellt eine große technische und finanzielle Herausforderung dar.“ - Johanna Stachel, Präsidentin der Deutschen Physikalischen Gesellschaft
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Bis 2000 beruhte die deutsche Stromversorgung auf zwei Säulen: der Verbrennung von Kohle und Erdgas und der Kernenergie. Die Elektrizitätsnetze übertrugen die Hochspannung (400 kV1 ) von den Kraftwerken zu Umspannwerken. Diese setzten die Spannung über 110 kV auf 20 kV und in Ortsnetzstationen schließlich von 20 kV auf 400 V für die Haushalte um. An der Steckdose erhält man schließlich aus dem 400-V-Drehstromsystem den einphasigen Wechselstrom mit einer Spannung von 230 V, die Niederspannung.
Mit Erlass des Gesetzes über erneuerbare Energien (EEG) im Jahr 2000 wuchs der Anteil der sog. erneuerbaren Energiequellen (Windkraft, Photovoltaik, Biomasse und Wasserkraft) an der Stromerzeugung durch Subventionierung auf 22 % im Jahr 2012. Windkraft (WK) und Photovoltaik (PV) liefern ihre volle Leistung allerdings nur für ca. 4,6 Std. (WK) bzw. 2,3 Std. (PV) am Tag. Diese neuen Stromquellen ändern die Anforderungen an die Netze in zweifacher Weise: einerseits wird Strom aus PV-Anlagen in der umgekehrten Richtung von Haushalten in das Niederspannungsnetz gespeist, andererseits hat der Strom aus WK und PV Priorität, d. h. andere Kraftwerke werden herunter- und bei Bedarf wieder hochgefahren. Da die Leistung von WK- und PV-Anlagen umweltbedingt stark fluktuiert oder völlig ausfällt, müssen ständig konventionelle Ersatzkraftwerke bereitstehen. Zudem muss, um die 50-Hz-Frequenz der Netzspannung im gesamten Verbundnetz stabil zu halten2 , eine Leistung von ca. 2.700 Megawatt, also von zwei großen Kraftwerken, als Regelleistung verfügbar sein. Die regenerativen Energieeinspeisungen liefern keinen Beitrag zur Leistungs-Frequenzregelung. Denn sie laufen über einen Gleichstrom-Zwischenkreis und einen netzfrequenzgeführten Wechselrichter und sind daher dynamisch entkoppelt. Die Netzbetreiber müssen mehrmals pro Tag eingreifen, um die Netzstabilität zu gewährleisten. Im Februar 2012 konnte ein durch den Ausfall von Sonne und Wind verursachter Zusammenbruch des Netzes, ein sog. Blackout, gerade noch verhindert werden.
Eine weitere Schwierigkeit ergibt sich aus der regionalen Verteilung der Anlagen: Windkraftanlagen (WKA) werden vorwiegend in Gebieten mit optimalen Windstärken eingesetzt, d. h. an den Küsten und in Norddeutschland. In Süddeutschland sind die Windgeschwindigkeiten geringer und die Leistungen entsprechend kleiner3 . Deshalb finden wir im Norden Deutschlands eine Überkapazität an WKAs, während der große Energiebedarf in den Industriezentren im Süden besteht. Die im Süden installierten PV-Anlagen erzielen die beste Leistung überwiegend mittags im Sommer. Weiterhin entsprechen Zeiten hoher Stromproduktion oft nicht den Zeiten hohen Bedarfs. Da eine Speicherung der elektrischen Energie in dem benötigten Umfang z. Zt. nicht möglich ist [1], muss die überschüssige Windenergie von Nord nach Süd transportiert werden. Nach Berechnungen der Deutschen Energieagentur DENA [2] ist dazu der Bau von mindestens 3600 km an Höchstspannungsleitungen bis 2020 notwendig (Abb.1). Bisher wurden weniger als hundert Kilometer davon gebaut. Einige dieser Leitungen sind als Hochspannungs-Gleichstromleitungen vorgesehen, um die Windleistung gezielt, unabhängig vom Leistungsfluss im Verbundnetz, transportieren zu können.
Fußnoten:
1. kV = Kilovolt = 1000 Volt = 1000 V
2. D. h. die Abweichung darf nicht mehr als 0,1 Hz betragen
3. 1/2 Windgeschwindigkeit ergibt 1/8 Leistung.
Quellen und weiterführende Literatur:
[1] http://www.dpg-physik.de/veroeffentlichung/physik_konkret/el_pk18.html
[2] DENA (Deutsche Energie-Agentur). 2010. Netzstudie II. Integration erneuerbarer Energien in die deutsche Stromversorgung im Zeitraum 2015-2020 mit Ausblick 2025. – dena, Berlin, 564 S. http://www.netzentwicklungsplan.de/ http://www.eeg-aktuell.de/ http://www.erneuerbare-energien.de/die-themen/netzintegration-erneuerbarerenergien/
Die Deutsche Physikalische Gesellschaft dankt ihren Autoren Konrad Kleinknecht, Thomas Leibfried, Helmut Alt