Kernfusion - auf dem Weg zum Kraftwerk
Ausgabe 21 | Oktober 2014 | „Die bisherigen Forschungsergebnisse geben Zuversicht, dass das Ziel praktisch nutzbarer Fusionsenergie erreicht werden kann. Der deutsche Beitrag zur Fusionsphysik spielt dabei eine wichtige Rolle.“ Edward G. Krubasik, Präsident der Deutschen Physikalischen Gesellschaft
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Weltweit wird die Energiequelle Kernfusion erforscht. In künftigen Kraftwerken sollen die Brennstoffe Deuterium (D) und Tritium (T) zu Helium (He) verschmelzen (D + T = He + n + 17,6 MeV). Zudem entsteht ein energiereiches Neutron (n). Dies verspricht klimafreundliche Energieerzeugung und könnte nahezu unerschöpfliche Brennstoffvorräte erschließen. Die Forschung verfolgt vor allem das Konzept des magnetischen Einschlusses: Mit Magnetfeldern wird der heiße, dünne Brennstoff – das Plasma – eingeschlossen und von den kalten Gefäßwänden ferngehalten. Die nötigen Temperaturen von rund 200 Millionen °C werden heute routinemäßig erreicht. Das für die Zündung der obigen Reaktion entscheidende Produkt aus Dichte, Temperatur und Energie-Einschlusszeit wurde im Laufe der Forschung um fünf Größenordnungen gesteigert. Es ist heute weniger als eine halbe Größenordnung vom Zielwert entfernt: Der Rekordhalter, das europäische Gemeinschaftsexperiment JET (Joint European Torus) in Culham/Großbritannien, erzeugte 16 MW Fusionsleistung für etwa eine Sekunde. 65 Prozent der dem Plasma zugeführten Heizleistung wurden dabei per Fusion zurückgewonnen [1].
Die physikalischen Vorgänge in Fusionsplasmen sind inzwischen weitgehend verstanden. Heute arbeitet man vor allem daran, das Verhalten des Plasmas zu optimieren. In Europa hat man sich auf einen Forschungsplan [2] geeinigt, der bis 2050 Fusionsstrom ins europäische Stromnetz bringen soll: Der internationale Testreaktor ITER (lat. „der Weg“), der zurzeit in Südfrankreich entsteht, soll Technologien und Betriebsweisen im Reaktormaßstab testen und eine Fusionsleistung von 500 MW erzeugen [3]. ITER ist – wie JET oder ASDEX Upgrade in Garching/Deutschland, die den ITERBetrieb vorbereiten – eine Anlage vom Typ Tokamak. Sie arbeiten gepulst; Dauerbetrieb verlangt aufwändige Zusatzeinrichtungen. Für Dauerbetrieb geeigneter sind Anlagen vom Typ Stellarator. Dessen modernster Vertreter, der Wendelstein 7-X in Greifswald/ Deutschland, soll 2015 in Betrieb gehen [4].
Zusammen mit einem weltweiten Entwicklungsprogramm für Fusionstechnologien und -materialien bereitet ITER ein Demonstrationskraftwerk vor. Es soll Fusionsstrom ins Netz einspeisen und die industrielle Entwicklung wettbewerbsfähiger Kraftwerke [5] ermöglichen. Ab und an vorgeschlagene Alternativkonzepte, die sehr kompakte Anlagen versprechen [6], werden von Plasmawissenschaftlern sehr skeptisch gesehen und hier nicht diskutiert.
Ein anderes Verfahren ist die Trägheitsfusion: Hierbei werden starke Laser- oder Teilchenstrahlen auf eine winzige Brennstoffkapsel aus einem Deuterium-Tritium-Gemisch fokussiert. Die Temperatur des extrem verdichteten Brennstoffs steigt auf über 100 Millionen °C. Für die Fusionsreaktionen ist nur solange Zeit, wie die eigene Trägheit den Brennstoff zusammenhält. Nach dem Bruchteil einer Milliardstel Sekunde fliegt er explosionsartig auseinander. Große Anlagen sind die National Ignition Facility (USA), die bislang ein Prozent der von der Kapsel aufgenommenen Heizleistung per Fusion zurückgewinnen konnte [7], sowie Laser Mégajoule in Frankreich [8]. Wiederholungsraten bis zu 10 Hz wären erforderlich, um Dauerleistung in einem Laser-Fusionskraftwerk zu erreichen.
Fusionskraftwerke werden Grundlaststrom liefern und sollten eine gute Umweltbilanz aufweisen. Wie Kraftwerksstudien zeigen, gibt es keine großen Risiken – das radioaktive Brennstoff-Inventar ist klein, bei einem Störfall erlischt der Brennvorgang von selbst. Kein Nachwärmeprozess kann das Kraftwerk zerstören und keine Endlagerung großer Mengen radioaktiven Abfalls ist erforderlich. Damit hat die Kernfusion das Potenzial, langfristig zu einer CO2 -freien, sicheren und zuverlässigen Stromversorgung beizutragen.
Die Deutsche Physikalische Gesellschaft dankt ihrer Autorin Sibylle Günter.