15.10.2007

Pressemitteilung

der Deutschen Physikalischen Gesellschaft

In der Schule zum Doktortitel?

Physiker kritisieren Pläne zur Umgestaltung der Promotion

Bad Honnef, 15. Oktober 2007 – Die Deutsche Physikalische Gesellschaft (DPG) warnt vor einem Rückgang der Forschungsleistung auf dem Gebiet der Physik, sollte die Promotion so umgestaltet werden, wie es die europäischen Bildungsminister(innen) im Rahmen des „Bologna-Prozesses“ vorhaben. Nach dem Willen der Minister(innen) sollen „strukturierte Promotionsstudiengänge“ eingerichtet und damit die Promotion als „Dritter Zyklus“ der Hochschulausbildung etabliert werden. „Der größte Teil der Forschungsergebnisse auf dem Gebiet der Physik wird im Rahmen von Promotionen von Doktorandinnen und Doktoranden erbracht, die ein berufsqualifizierendes Studium hinter sich haben. Diese nun ein weiteres Mal mit Ausbildungsinhalten zu beschäftigen und in den Rahmen von „Studiengängen“ zu pressen, kann nur auf Kosten der Forschungsleistung gehen. Angesichts der starken internationalen Konkurrenz können wir uns dies nicht leisten“, sagt DPG-Vizepräsident Knut Urban. Mit einer nun veröffentlichten Studie „Zur Promotion im Fach Physik an deutschen Universitäten“ will die DPG vor allem Sachinformation liefern: Wie sieht die Promotion in der Physik aus? Wie verhält sie sich zu Studium und Beruf? Welche Finanzierungsmodelle stehen zur Verfügung? Welche Eckpunkte sind für eine zukünftige Gestaltung der Promotion aus Sicht der Physik unverzichtbar? (Bild: tyrian123, flickr.com)

Der Leitsatz der Studie ist: „Die Promotion dient dem Erwerb einer für die Ausübung des Berufs Physiker(in) wichtigen Qualifikation – die belastbare Professionalität und Selbständigkeit unter hohem Leistungs- und Wettbewerbsdruck. Dazu wird dem/der Promovierenden die Aufgabe gestellt, ein herausforderndes, modernes Thema an der vordersten Linie der Forschung zu bearbeiten. Arbeit unter Risikobedingungen, Betreten von Neuland, Eigenverantwortlichkeit nicht unter abstrakten, sondern unter den realen Bedingungen des eigenen Fachs, das sind die Fähigkeiten, die im Rahmen der Promotion entwickelt werden sollen. Ohne sie kommen weder der Wissenschaftsbetrieb noch Industrie und Wirtschaft aus.“

Der DPG-Vizepräsident warnt daher vor einer Verschulung der Promotion als Folge des „Bologna-Prozesses“: „Es steht zu befürchten, dass Teile der in einem gestrafften Bachelor- und Master-Studium nicht mehr unterzubringenden Lehrinhalte in die Promotionsphase verschoben werden und dass Pflichtvorlesungen und Termine aller Art zu einer Verschulung führen. Dies würde dem primären Anliegen der Promotionsphase widersprechen, Professionalität unter großem Leistungsdruck zu praktizieren.“ Zudem wehrt sich Urban gegen „eine Überregulierung, die sämtliche Fachdisziplinen über einen Kamm schert. So gibt es in den Naturwissenschaften eine andere Promotionskultur als etwa in den Geisteswissenschaften oder in der Medizin. In der Bildungspolitik wird jedoch fälschlicherweise unterstellt, dass es lediglich die eine Promotion unabhängig vom Fachgebiet gäbe, und dass es nun darum gehe, diese überall nach denselben Regeln umzugestalten.“

Viele Wege zum Doktortitel

Vielfalt ist sogar innerhalb der Physik gängige Praxis, erläutert Gerd Ulrich Nienhaus, DPG-Vorstandsmitglied für Bildung und Ausbildung: „Wie unsere Studie darstellt, stehen jungen Wissenschafterinnen und Wissenschaftlern entsprechend der Vielfalt der deutschen Forschungslandschaft verschiedenste Wege offen, auf denen sie zu ihrer Doktorarbeit als der wichtigsten Voraussetzung für die Promotion gelangen können. Universitäten, außeruniversitäre Forschungseinrichtungen, wie die Institute der Helmholtz-Gemeinschaft, der Leibniz-Gemeinschaft, der Max-Planck-Gesellschaft und der Fraunhofer-Gesellschaft sowie die Industrie stehen im Wettbewerb um die jungen Leute. Und da es weiterhin an Hochschulabsolventen in Physik mangelt, können diese aus einem großen Angebot an möglichen Arbeiten diejenigen auswählen, die ihren Interessen und Neigungen entgegenkommen. Ganz anders als in den großen Massenfächern werden die Promotionssuchenden, da sie die Hauptforschungsleistung erbringen, von den Professoren umworben. In deren Interesse liegt es auch, dass sie ihre Mitarbeiter gut betreuen.“

Die DPG begrüßt die Einrichtung von Graduiertenschulen und Graduiertenkollegs, sofern diese die Effizienz bei der Erstellung der Doktorarbeit fördern und dabei der aus dem Englischen übernommene und im Deutschen viel enger ausgelegte Begriff der „Schule“ nicht wörtlich genommen wird. Allgemeine Ausbildungsinhalte gehören, so die Studie, ins Studium. Vizepräsident Urban: „Wir sind froh, dass die Fachgutachter bei der Beurteilung von Anträgen auf Finanzierung von Graduiertenprogrammen auf dem Gebiet der Physik solchen Vorhaben eine klare Absage erteilt haben, in denen sachlich nicht gerechtfertigten quasi-schulischen Aspekten und einer Strukturierung zu Lasten der Wissenschaft Raum gegeben wurde.“

Besondere Bedeutung misst die Studie allerdings der Einrichtung von Graduiertenschulen und –kollegs bei interdisziplinären Themenstellungen bei. Dazu Nienhaus, der selbst auf dem Gebiet der Biophysik forscht: „Wenn sich die Promovierenden in die Inhalte des jeweils anderen Fachgebietes einarbeiten, dann dient dies der Effizienz der Forschungsarbeit. Die Erfahrung zeigt, dass dies allen Spaß macht und ein produktives Klima erzeugt“. Die Studie spricht sich jedoch entschieden dagegen aus, dass Promotionen in Zukunft nur noch im Rahmen von Graduiertenschulen oder -kollegs erfolgen. Allein schon die Vielfalt der Themenstellungen mache es unmöglich, dass die Fachbereiche auf jedem Gebiet eine solche Einrichtung betreiben. Die Pflicht, an einem Graduiertenprogramm teilzunehmen, würde zudem diejenigen Nachwuchswissenschaftler(innen) benachteiligen, die ihre Doktorarbeit in der Industrie anfertigen. Ebenfalls benachteiligt würden Promovierende, die über längere Zeit im Rahmen von Experimenten an Großgeräten an einer der weltweit verteilten Großforschungseinrichtungen, wie zum Beispiel CERN in Genf oder DESY in Hamburg, arbeiten. Nienhaus: „Wir sprechen uns dediziert dafür aus, dass die klassischen Promotionswege neben den neuen Graduiertenprogrammen bestehen bleiben.“

Künftige Gestaltung der Promotion

Bei ihren Eckpunkten weiß sich die DPG einig mit der „Konferenz der Fachbereiche Physik“ (KFP), in der die 58 Physik-Fachbereiche in Deutschland zusammenarbeiten. DPG und KFP plädieren dafür, dass das Promotionsrecht ein Recht der Universitäten bleibt. „Die Einrichtung von Graduiertenprogrammen darf nicht dazu missbraucht werden, das Promotionsrecht weg von den Universitäten und hin zu den außeruniversitären Forschungseinrichtungen zu verlagern. Da letztere meist finanziell besser ausgestattet sind, würde eine solche Entwicklung zu einer weiteren Benachteiligung der universitären Forschung führen, an der vernünftigerweise niemand interessiert sein kann“, erklärt Urban. Einig sind sich die Fachbereiche und die DPG auch darin, dass die Zulassung zur Promotion grundsätzlich einen Diplom- oder Master-Abschluss voraussetzt. Innerhalb des Bologna-Prozesses wurde jedoch auch die Möglichkeit zur Promotion ohne vorherigen Diplom- oder Master-Abschluss eingeführt. Hierzu betont DPG-Vorstandsmitglied Nienhaus: „Nur in Ausnahmefällen sollten besonders talentierte Bewerber ohne Master- oder Diplomgrad zur Promotion zugelassen werden. Einem Schnelldurchlauf vom Bachelor- zum Doktorgrad stehen wir grundsätzlich skeptisch gegenüber.“

DPG-Vizepräsident Urban stellt klar: „Maßnahmen, die dazu dienen, die Qualität der Promotion weiter zu verbessern, werden von der DPG ausdrücklich unterstützt. De facto sind wir jedoch schon jetzt hervorragend aufgestellt. In der Physik kommt rund ein Viertel der Doktoranden aus dem Ausland. In Deutschland promovierte Physikerinnen und Physiker finden in der Forschung und in der Wirtschaft, national wie international, reißenden Absatz, weil sie selbständig und professionell arbeiten und auf den realen Arbeitsmarkt vorbereitet sind. Dies darf nicht aufs Spiel gesetzt werden.“