27.03.2006

Press Release

der Deutschen Physikalischen Gesellschaft

Rendezvous von Physik und Philosophie

Tagung der Deutschen Physikalischen Gesellschaft in Dortmund

Dortmund, 27. März 2006 – Rund 500 Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler treffen sich ab morgen und noch bis zum 31. März 2006 an der Universität Dortmund, um über neueste Forschungsergebnisse der Teilchenphysik und die philosophischen Aspekte ihrer Arbeit zu diskutieren. Weiterer Schwerpunkt des Kongresses ist die mathematische Physik. Bei dieser Tagung der Deutschen Physikalischen Gesellschaft (DPG) geht es daher nicht nur um das „Higgs-Boson“, den neuen Teilchenbeschleuniger LHC oder jene Kräfte, die unsere Welt im Innersten zusammenhalten. Auf dem Programm stehen ebenso Fragen wie „Was ist eigentlich ein Teilchen?“ oder „Was heißt es für unser Bild von Raum und Zeit, wenn „Quantenschleifen“ oder „Superstrings“ das Universum erfüllen?“ (Bild: CERN, Genf)

Antimaterie & Supersymmetrie: Ob Quarks, Neutrinos oder WIMPs – bei der Tagung dreht sich fast alles um Elementarteilchen. Und in dieser Hinsicht blicken die in Dortmund versammelten Fachleute gespannt Richtung Schweiz. Denn in der Nähe von Genf – am Forschungszentrum CERN – entsteht zurzeit der bislang leistungsfähigste Teilchenbeschleuniger überhaupt: der Large Hadron Collider (LHC). Betriebsstart der fast 27 Kilometer langen Maschine ist 2007. An dem Unternehmen sind Experten aus aller Welt beteiligt, darunter zahlreiche deutsche Arbeitsgruppen. Viele Beiträge zum Dortmunder Programm befassen sich daher mit den am LHC geplanten Experimenten, die unter anderem über das mysteriöse Higgs-Boson Aufschluss geben sollen. Dieses gilt als wichtiger Akteur im komplexen Gefüge des Mikrokosmos, denn es soll anderen Teilchen zu deren Masse verhelfen. Weil die Suche nach dem Higgs-Boson bisher erfolglos verlief, ruhen viele Erwartungen auf dem neuen Messinstrument.

Das Higgs-Boson ist jedoch nur ein Aspekt dieses Mammutprojektes, denn mit dem LHC wollen die Teilchenphysiker in mancherlei Hinsicht Neuland betreten. Warum das Universum mehr Materie als Antimaterie enthält, ist ein weiteres Rätsel, dem sie auf den Grund gehen möchten. Bei der Geburt des Kosmos – dem „Urknall“ – sollte eigentlich gleich viel Materie wie Anti-Materie entstanden sein. Und da sich Teilchen und Antiteilchen beim Aufeinandertreffen zu reiner Energie vernichten, hätte aus dem dichten Gedränge des Urfeuers eine Welt ohne Materie hervorgehen müssen. Durchflutet von Licht – und ohne Menschen. Dies ist offensichtlich nicht der Fall. Heutzutage ist die Materie in der Überzahl. Was steckt dahinter? Möglicherweise die „CP-Verletzung“ – ein feiner Unterschied zwischen Materie und Antimaterie. Der LHC kann dazu noch keine Daten liefern. Dafür werden in Dortmund aktuelle Ergebnisse von BABAR vorgestellt. Dieses Experiment wird mit deutscher Beteiligung an einem Teilchenbeschleuniger in den USA vorangetrieben.

Mit dem LHC hoffen die Wissenschaftler außerdem eine Spur der „Dunklen Materie“ zu finden. Sie steht für ein anderes Rätsel der modernen Physik: Astronomische Beobachtungen deuten nämlich darauf hin, dass das Universum viel mehr Substanz enthält, als direkt sichtbar ist. Forscher vermuten hinter dieser „Dunklen Materie“ eine noch unbekannte Familie „supersymmetrischer“ Teilchen. Dazu zählen insbesondere so genannte WIMPs. Aufspüren soll sie nicht nur der LHC, die Physiker verfolgen verschiedene Strategien. Ein anderes Projekt, das sich ebenfalls den WIMPs verschrieben hat, läuft unter dem Namen XENON und soll in einer riesigen Kaverne im Felsgestein des italienischen Gran Sasso-Massivs untergebracht werden. Auch dies ist in Dortmund ein Thema.

Neutrinos & Röntgenblitze: Elementarteilchen lassen sich jedoch nicht nur im Labor studieren, in Gestalt der kosmischen Strahlung erreichen sie uns auch aus den Tiefen des Alls. So geht es in Dortmund auch um den IceCube-Detektor, der zurzeit am Südpol in Stellung gebracht wird. Eingegraben im Eis und bestückt mit einem Netz aus Messgeräten, die rund einen Kubikkilometer umfassen, soll IceCube das voluminöseste wissenschaftliche Instrument werden, das jemals gebaut wurde. Sein Ziel ist es, kosmische Neutrinos einzufangen. Keine leichte Aufgabe, denn die flüchtigen Teilchen durchdringen in der Regel selbst den Erdball nahezu ungehindert.

Nicht nur von rasenden Teilchen, auch von energiereichen Röntgen- und Gammablitzen wird unser Planet immer wieder getroffen. Zum Glück verpuffen diese nahezu wirkungslos in den obersten Schichten der Atmosphäre. Messstationen wie das in Namibia gelegene H.E.S.S.-Teleskop fahnden dennoch nach ihnen. Erst kürzlich wurde das H.E.S.S.-Team fündig und ortete einen Strahlungsausbruch im Zentrum der Milchstraße. Ursache dafür könnte die Explosion eines Sterns sein oder das Schwarze Loch im Herzen unseres Galaxis.

Quarks & Co: Doch nicht nur Röntgenblitze und Elementarteilchen stehen bei dem Kongress im Mittelpunkt, es geht auch um die fundamentalen Kräfte der Natur – etwa um die „Starke Wechselwirkung“. Sie ist der „Klebstoff“, der Atomkerne zusammenhält und darüber hinaus auch den Verhaltenskodex für die Teilchenfamilie der Quarks diktiert. Das Dortmunder Programm befasst sich unter dem Stichwort „Gittereichtheorie“ mit der mathematischer Beschreibung der „Starken Wechselwirkung“, für die es zwar eine elegante und in wichtigen Teilen getestete Theorie gibt – bislang jedoch fehlen die mathematischen Werkzeuge, um diese Theorie voll auszuschöpfen. Selbst so „einfache“ Dinge wie die Eigenschaften des Protons (immerhin Baustein jedes Atomkerns) entziehen sich den Berechnungen der theoretischen Physiker. Hier könnte die Gittereichtheorie weiterhelfen, denn sie bietet eine neue Herangehensweise, um die komplexen mathematischen Gleichungen zu lösen – und zwar unter massivem Einsatz ganzer „Computerfarmen“.

Strings & Weltformeln: Angesichts der Vielfalt von Natur und Teilchenwelt suchen Physikerinnen und Physiker seit jeher nach Wegen, um sämtliche Phänomene in Einklang zu bringen. Dabei geht es insbesondere um die Verknüpfung der gängigen Theorie der Schwerkraft mit der Teilchenphysik. Ein Kandidat für solch eine „Weltformel“ ist die Stringtheorie. Diese ist jedoch nicht das einzige Angebot der theoretischen Physik. Gerade in jüngster Zeit macht eine Alternative von sich reden, die Raum und Zeit in winzige Parzellen unterteilt: die Schleifen-Quantengravitation. Beide Ansätze sind im Dortmunder Programm vertreten. In Sachen Stringtheorie geht es dabei insbesondere um eine Erklärung für das vorübergehende Aufblähen des Kosmos („Inflation“), das offenbar kurz nach dem Urknall einsetzte.

Physik & Philosophie: Bei der Tagung geht es um Fragen, die unser Weltbild maßgeblich beeinflussen. Was sind Raum und Zeit? Was ist das Licht? Was eigentlich ist ein Teilchen? Diese werden nicht allein aus physikalischer Sicht, sondern auch aus dem Blickwinkel der Naturphilosophie betrachtet. Die zugehörigen Vorträge bieten einen Streifzug von der Quantengravitation über die Deutung der Quantenmechanik bis zur Erkenntnistheorie.

Ein öffentlicher Abendvortrag ergänzt das Fachprogramm. Dieser spannt den Bogen von der „unmöglichen“ Bilderwelt des Niederländers M. C. Escher ins Reich der Elementarteilchen. Im Mittelpunkt: Symmetrien – in der Kunst wie in der Physik gelten sie als Ausdruck von Schönheit und Perfektion. Der Eintritt ist frei.

Donnerstag, 30. März, 19:30 Uhr / Universität Dortmund (Campus Nord), Hörsaalgebäude 2, Hörsaal 1: „Symmetrie: Bauplan der Natur - Faszinierende Welt der Teilchen und Kräfte“, Thomas Lohse, Humboldt-Universität zu Berlin