25.05.2005

Pressemitteilung

der Deutschen Physikalischen Gesellschaft

Physik und Promotion

Erklärung der DPG zur Konferenz der europäischen Bildungsminister

Bad Honnef, 25. Mai 2005 - Die Zeit der Doktorarbeit soll auch künftig in erster Linie der Forschung dienen, fordert die Deutsche Physikalische Gesellschaft (DPG) anlässlich des jüngsten Treffens der europäischen Bildungsminister in Bergen (Norwegen). Die Konferenz hatte sich vergangene Woche für eine Reform der Doktorandenausbildung ausgesprochen. "Solche Maßnahmen dürfen zu keiner Überregulierung oder Verschulung der Promotion auf Kosten der Forschungsleistung führen", so Professor Axel Haase, DPG-Vorstandsmitglied für Bildung und Ausbildung. "Die Konkurrenzfähigkeit des naturwissenschaftlichen Nachwuchses in Deutschland wäre sonst in Frage gestellt."

Europaweit vergleichbare Studienabschlüsse sind das Ziel des "Bologna-Prozesses", im Zuge dessen auch hierzulande Bachelor- und Masterstudiengänge eingeführt werden. Diese Reform wird von der DPG und den Physik-Fachbereichen in Deutschland nachhaltig unterstützt. Nach dem Beschluss der europäischen Bildungsminister soll jetzt auch der Weg zum Promotion neu gestaltet werden. Die Abschlusserklärung von Bergen spricht sich dabei gegen eine Überregulierung der Doktorandenprogramme aus. "Vonseiten deutscher Kultusminister gibt es jedoch Bestrebungen, die Promotion durch Pflichtvorlesungen zu verschulen", sagt DPG-Vorstandsmitglied Axel Haase. Doktoranden gehörten aber nicht auf die Schulbank: "Hierzulande entfallen 70 Prozent der Forschungsleistung an Universitäten und Forschungseinrichtungen auf die Arbeit von Doktorandinnen und Doktoranden. Deshalb muss die Doktorarbeit auch weiterhin der Forschung dienen. Sie ist nicht dazu da, mögliche Defizite auszugleichen, die während des Studiums entstanden sind." Haase plädiert daher für eine Erhaltung der Qualität des Diploms, das infolge des Bologna-Prozesses allmählich durch den Master abgelöst wird: "In der Physik muss der Master die Qualifizierung für die Promotionsphase liefern - so wie bislang das Physik-Diplom."

Die DPG unterstütze Promotionsprogramme, wie es sie seit vielen Jahren in Form von Graduiertenkollegs gäbe, erläutert Haase. Dabei begleitet die Doktoranden über einen Zeitraum von 3 bis 4 Jahren ein auf ihre Arbeit abgestimmtes Trainingsprogramm. "Bei interdisziplinären Forschungsthemen ist ein zusätzliches Ausbildungsangebot durchaus sinnvoll", meint Haase. "Doch der Schwerpunkt während der Doktorarbeit muss auf aktiver und selbständiger Forschung liegen", fordert er. "Die Physik ist hoch kompetitiv, die Zeit der Doktorarbeit Karriere entscheidend. Die jungen Leute können im internationalen Wettbewerb nur bestehen, wenn sie ihre ganze Arbeitskraft ihrem Forschungsprojekt widmen."

Zudem gestalte sich die Finanzierung einer Promotion als schwierig, ginge der Ausbildungsaspekt zulasten der Forschungstätigkeit, meint DPG-Vorstandsmitglied Haase. Denn viele Doktoranden finanzieren ihre Projekte - und ihren Lebensunterhalt - über "Drittmittel", also Gelder von Stiftungen, der Deutschen Forschungsgemeinschaft oder der Industrie. "Diese Vergütung ist in der Regel der Lohn für geleistete Forschungsarbeit - kein Ausbildungsstipendium", erläutert Haase. "Insofern ist es fraglich, ob dieses Finanzierungsmodell eine Zukunft hat, wenn die Forschungsarbeit an Gewicht verliert."

Des Weiteren weist Haase darauf hin, dass eine Verknüpfung der Promotion mit Lehrveranstaltungen an einer Universität so manchem Nachwuchsforscher den Doktortitel verwehren würde: "Viele Doktoranden sind zu Messkampagnen monatelang im Ausland tätig und zahlreiche Doktorarbeiten entstehen an außeruniversitären Forschungseinrichtungen wie den Max-Planck-Instituten oder den Forschungszentren der Helmholtz-Gemeinschaft. Die Chance, Vorlesungen regelmäßig zu besuchen, ist also nicht immer gegeben."

Der Absicht einiger Bildungspolitiker den Erwerb so genannter "Soft-Skills" per Seminar zu verordnen, erteilt Haase eine Absage: "Für Doktoranden in der Physik ist der kompetente Umgang mit Menschen Teil des Trainings 'on the job'. Denn viele sind in die Lehre eingebunden, indem die als Assistenten Diplom-Arbeiten oder Praktika betreuen." Zudem sei die Präsentation wissenschaftlicher Ergebnisse bei Vorträgen und Tagungen fester Bestandteil der Doktorarbeit: "Wir brauchen keine Pflichtveranstaltungen über den Umgang mit PowerPoint", meint Haase.

Anhang: Hintergrundinformation

Die Doktorarbeit ist die erste selbständige Forschungsleistung junger Physikerinnen und Physiker nach ihrem Studium. Das Ziel ist, sich in eines der aktuellen Gebiete der modernen Physik einzuarbeiten, durch die Anwendung modernster Methoden in selbständiger Arbeit neue Erkenntnisse zu gewinnen, diese in Form einer Monographie - der Dissertation - darzustellen und Teile davon in einer Fachzeitschrift zu publizieren.

Auf so innovativen Gebieten wie den Naturwissenschaften - namentlich der Physik - ist die internationale Konkurrenz besonders groß und die Nachwuchswissenschaftler(innen) stehen im Allgemeinen einer größeren Zahl gut ausgerüsteter Forschergruppen gegenüber. Der Wettbewerb geht grundsätzlich immer darum, bestimmte Beobachtungen als erste(r) zu machen. Diese Priorität ist in der Physik nicht nur die Voraussetzung dafür, dass die Arbeit den Doktortitel einbringen kann, sie ist auch entscheidend dafür, dass eine bei einer Fachzeitschrift eingereichte Publikation zur Veröffentlichung angenommen wird, und ferner, dass die Ergebnisse eventuell patentierbar sind.

Außergewöhnlich hoher Erfolgs- und Kreativitätsdruck, sowie das ständige Risiko, dass andere zuvorgekommen sind, folglich die ganze Promotion und damit die Arbeit von Jahren in Frage stellen, sind zentrale Elemente während der Phase einer Doktorarbeit in der Physik. Für diejenigen Physiker(innen), die eine akademische Karriere anstreben, ist das Gewinnen eines solchen internationalen Wettlaufs kritisch. Wer verloren hat, hat meist keine Aussicht mehr, seine Karriere fortzusetzen.

Die Zeit der Doktorarbeit allein als Qualifikationsphase der Doktorand(inn)en zu sehen, käme einer fatalen Fehleinschätzung mit unmittelbar nachteiligen Folgen für den Forschungs- und Innovationsstandort Deutschland gleich. Über Zweidrittel der Forschungsleistung der deutschen Hochschulen und außeruniversitären Forschungseinrichtungen auf dem Gebiet der Physik werden von Doktorand(inn)en erbracht. Alle Vorhaben, die Promotionszeit von Nachwuchswissenschaftler(innen) neu zu gestalten, müssen sich daran messen, ob sie den Forschungsoutput, den Deutschland dringend benötigt, nicht nur erhalten, sondern erhöhen.

Hinzu kommt: An den Universitäten hierzulande mit ihrer ausgedünnten Personaldecke tragen die Doktorand(inn)en ein erheblichen Anteil der Lehre, indem sie als Assistent(inn)en Vorlesungen, Praktika und Diplomarbeiten begleiten. Kein Lehrstuhl kommt heute ohne diese Leistungen aus. Weil die verstärkte Betreuung der Studierenden in den neuen Bachelor- und Masterstudiengängen ohne Erhöhung (effektiv mit einer Reduzierung) der Personalressourcen zu erbringen ist, wird diese Leistung der Doktorand(inn)en an Bedeutung gewinnen. Für junge Physikerinnen und Physiker ist die Betreuung von Studierenden zudem ein wesentlicher Teil ihrer Weiterbildung und persönlichen Entwicklung im Rahmen der Doktorarbeit.

Für ihre Leistungen in der Forschung und als Assistent(inn)en erhalten die Doktorand(inn)en eine Vergütung. Man kann nicht eindringlich genug darauf hinweisen, dass es sich dabei im Allgemeinen nicht (!) um Ausbildungsstipendien handelt. Wenn ein Professor bei der Deutschen Forschungsgemeinschaft oder bei einer anderen der deutschen Forschungsfördereinrichtungen einen Antrag stellt (auf diese Weise werden die meisten Doktorarbeiten finanziert), dann geht es allein (!) um die Förderung der Forschungsleistung. Dass die damit beauftragten Forscher(innen) mit den Ergebnissen auch promovieren können, spielt im Grundsatz keine Rolle. Ganz entsprechend sieht es bei den institutionell geförderten Doktorarbeiten der Max-Planck-Gesellschaft, der Helmholtz-Gemeinschaft und anderer außeruniversitärer Forschungseinrichtungen sowie bei von der Industrie geförderten Vorhaben aus. Die Finanzierung einer Doktorarbeit in der Physik begründet daher ein berufliches Leistungsverhältnis. Wer den damit verbundenen Ausbildungsaspekt durch Erweiterungen der Anforderungen an die Universitäten auf Kosten der Zeit für die Forschungsarbeit erhöhen will, sollte sich zuerst dazu bekennen, dass er dafuer andere zahlen lassen will.

Jeder Entwurf einer Neugestaltung der Promotion in der Physik muss diese Leistungs- und Qualifikationsebenen berücksichtigen. Weil Doktorandinnen und Doktoranden den größten Teil der Forschungsleistung deutscher Universitäten und Forschungseinrichtungen erbringen, darf diese Quelle der Innovationskraft nicht geschwächt und durch Konzepte, die sich einseitig am Ausbildungsaspekt der Promotion orientieren, leichtsinnig aufs Spiel gesetzt werden.

Die Deutsche Physikalische Gesellschaft unterstützt die Bestrebungen der Universitäten, die Dauer der Promotion im Fach Physik auf in der Regel 3 Jahre zu begrenzen und durch Stärkung der Aufsichtsfunktion der Fakultäten eine verbesserte Betreuung der Doktorand(inn)en sicherzustellen. Sie wendet sich aber entschieden gegen eine Verschulung der Promotionsphase bzw. eine Belastung der Promovierenden mit zusätzlichen Lerninhalten, welche eine Reduktion der Forschungsleistung und eine Schwächung des Universitätsbetriebes mit sich bringen.

Die DPG unterstützt strukturierte Promotionsprogramme, wie sie auch im Abschlussprotokoll der Konferenz von Bergen vorgeschlagen werden. Entsprechende Modelle werden in Deutschland seit Jahren in Form von Graduiertenschulen erfolgreich praktiziert. Finanziert werden solche Kollegs von der Deutschen Forschungsgemeinschaft und außeruniversitären Forschungseinrichtungen, wie der Max-Planck-Gesellschaft und der Helmholtz-Gemeinschaft. Bei den Graduiertenschulen werden in einem Zeitraum von 3 bis 4 Jahren neben einem straff geplanten Trainingsprogramm die Grundlagen dafür geschaffen, in kompetitiver Forschung auf höchstem internationalem Niveau neue wissenschaftliche Erkenntnisse zu gewinnen.

Die DPG warnt aber nachdrücklich vor einer Überregulierung der Doktorandenprogramme, die darauf hinauslaufen würde, die Promotionszeit quasi als Teil der Studienzeit zu gestalten. Die Promotionszeit kann und darf kein Ersatz für Defizite in der Grundausbildung in Bachelor- und Masterstudiengängen sein. In diesem Zusammenhang muss noch einmal darauf hingewiesen werden, dass die Grundlage für die Finanzierung einer Doktorarbeit allein die Forschungsleistung ist. Weder die Deutsche Forschungsgemeinschaft noch andere Fördereinrichtungen und die Industrie sind dazu da, in erster Linie einem Ausbildungsaspekt entsprechende Zusatzqualifikationen zu finanzieren.

Die DPG warnt weiterhin vor der Absicht der Politik, die Verleihung eines Doktorgrades zwangsweise mit einem Graduiertenstudium an einer Universität zu verknüpfen. Ein hoher Anteil der Doktorarbeiten wird an außeruniversitären Forschungseinrichtungen (Instituten der Max-Planck-Gesellschaft, der Helmholtz-Gemeinschaft, der Wissenschaftsgemeinschaft Gottfried Wilhelm Leibniz, der Fraunhofergesellschaft etc.) angefertigt. Diese führen dann - über an den Universitäten akkreditierte Professoren - zur Promotion. In vielen Fällen spielen Großgeräte eine Rolle, an denen - häufig im Ausland - oft monatelange Messaufenthalte durchgeführt werden. Eine obligatorische Bindung der Promotion an die Graduiertenschule einer Universität würde einen Großteil dieses wissenschaftlichen Nachwuchses von der Promotion ausschließen.

Die heutige Promotionskultur in der Physik schließt die zügige Publikation bereits während der Forschungsarbeit in Fachjournalen und die Präsentation der Ergebnisse in Form von Vorträgen auf nationalen und internationalen Kongressen ein. Niemand kann heute in der Physik auf einem aktuellen Gebiet promovieren bzw. seinen Prioritätsanspruch begründen, ohne diese frühe öffentliche Aktivität. In der Regel haben die Doktorand(inn)en bei der Abgabe ihrer Dissertation bereits eine oder mehrere Veröffentlichungen vorzuweisen und Teilergebnisse auf Konferenzen vorgetragen. Es ist üblich, ja selbstverständlich, dass diese Präsentationen mit den jeweils modernsten Methoden gestaltet werden. Es mutet in der Tat für Physikerinnen und Physiker befremdlich an, nun in jüngsten Entwürfen für ein Promotionsstudium Vorlesungen über PowerPoint-Präsentationen zu finden. Ähnliches gilt für "Trockenübungen" im Projektmanagement, wobei zu bedenken ist, dass der größte Teil heutiger Forschungsarbeiten auf dem Gebiet der Physik im Rahmen von Drittmittelprojekten durchgeführt wird. Da die meisten Doktorand(inn)en ihren Lebensunterhalt zusätzlich mit Assistenztätigkeit verdienen müssen und dabei Studierenden betreuen und anleiten, ist auch der kompetente Umgang mit Menschen durch "Learning on the job" Ergebnis einer Doktorarbeit.

Zum Abschluss soll noch darauf verwiesen werden, dass das Promotionsrecht ein Recht der Fakultäten und damit der jeweiligen Universität ist. Damit handelt es sich in Deutschland um eine Landeszuständigkeit. Da die Universitäten mit ihren Fakultäten für die Qualität ihrer Doktorgrade bürgen und die Arbeit der Doktorand(inn)en bereits ein erster Teil der beruflichen Lebensphase darstellt, dürfte es schwer fallen, überzeugende Gründe für eine administrativ verordnete schematische Gleichschaltung der Promotion in Deutschland und darüber hinaus in Europa zu finden.

Die Erklärung der Bildungsminister von Bergen ist sehr allgemein gehalten. Eine Begründung dafür, dass eine Vereinheitlichung der Promotion in Europa überhaupt sinnvoll und darüber hinaus auch institutionell möglich ist, ist in dieser Erklärung nicht enthalten. Die Einführung einer strukturierten Einheitspromotion in Deutschland lässt sich daraus ebenso wenig ableiten wie die Außerkraftsetzung der traditionellen Rechte der Universitäten.

Die Hochschulen sollten die gegenwärtige Neugestaltung der Studiengänge auf dem Gebiet der Physik zum Anlass nehmen, ihre Promotionsordnungen zu überprüfen, um dort, wo Verbesserungen möglich sind, entsprechende Änderungen einzuführen. Die Politik sollte auf Bundes- und Landesebene die Grundlage der Promotion - aufgespannt durch die Aspekte Forschung, Assistenz in der Lehre und Eigenqualifikation - in ihrer Verantwortung für den Forschungs- und Technologiestandort Deutschland zur Kenntnis nehmen. Und sie sollte darauf vertrauen, dass die international anerkannte herausragende Promotionskultur in der Physik hierzulande in der Eigenverantwortung der Universitäten am besten bewahrt bleibt.