Elisabeth Soergel

"Die Tatsache, dass im Bundestag, aber auch in sonstigen politischen Entscheidungsgremien, Naturwissenschaftler eine absolute Ausnahme sind, erachte ich angesichts unseres stark physikalisch/naturwissenschaftlich bedingten Lebensstandards als sehr bedenklich: Ohne Physik ist unser Lebensstandard unvorstellbar."

Elisabeth Soergel (Rheinische Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn, DPG-Mitglied seit 1992) war Musikerin, erforscht aber heute Ferroelectrics and Multiferroics. Sie wurde mehrfach als DPG-Fachverbandsprecherin gewählt und ist derzeit Ombudsperson der DPG.

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Wenn ich nicht Physikerin geworden wäre ...

...wäre ich weiterhin Musikerin (Cellist) und würde wohl in einem Orchester spielen.

 

Welches ist der schönste Konferenz-Ort, den Sie kennen?

Boston. Eine Stadt, in der man sich als Fußgänger wohl fühlen kann, und – auch zu Fuß – viele ungewöhnliche Museen besuchen kann. Neben den "normalen" Kunstmuseen, hat mich das Harvard Museum of Natural History mit den Glasblumen der Blaschkas wahrlich begeistert.

 

Was bewegt Sie neben Physik und Arbeit?

Für Kunst jedwelchen Typs bin ich immer zu haben. Musik, mein Leben vor der Physik, spielt hier sicher eine Sonderrolle. Aber auch für die Besichtigung von moderner Architektur oder (Kunst-) Ausstellungen bin ich bereit, einigen Aufwand zu treiben.

Manchmal gilt es aber auch "die Seele baumeln zu lassen", wie Tucholsky es so treffend formuliert hat. Das gelingt mir am besten beim Bergwandern in den Alpen – im Frühsommer von Blume zu Blume und im Herbst von einem phantastischen Fernblick zum nächsten. Nicht hetzen, sondern die Natur im Kleinen wie im Grossen genießen ist meine Wander-Devise.

 

Warum sind Sie in die DPG eingetreten und haben Sie sich bisher schon einmal ehrenamtlich darin engagiert?

In die DPG bin ich eingetreten, weil man, so man sich als Physiker sieht, in der DPG ist. Und also war ich – kaum diplomiert – DPG-Mitglied. Ehrenamtlich habe ich mich als Fachverbandsvorsitzender engagiert und fungiere derzeit als Ombudsperson.

 

Welches war die letzte DPG-Veranstaltung, an der Sie teilgenommen haben?

Der Tag der DPG in Bad Honnef – da treffen sich all diejenigen, die die DPG am Laufen halten, vom Hausmeister bis zum Präsidenten in lockerer Atmosphäre.

 

Warum sollten sich PhysikerInnen verstärkt in den politischen Diskurs bzw. Alltag einbringen?

Die Tatsache, dass im Bundestag, aber auch in sonstigen politischen Entscheidungsgremien, Naturwissenschaftler eine absolute Ausnahme sind, erachte ich angesichts unseres stark physikalisch/naturwissenschaftlich bedingten Lebensstandards als sehr bedenklich: Ohne Physik ist unser Lebensstandard unvorstellbar. Trotzdem werden immer wieder weitreichende (politische) Entscheidungen nicht auf naturwissenschaftlicher Basis, sondern emotional getroffen, wobei nicht selten Angst zugrunde liegt. Angst, die sich bei Unwissenden so einfach schüren lässt. Nun ist es aber leider so, dass die physikalische Grundbildung in der Bevölkerung nicht ausreicht (und, angesichts der Komplexität der Probleme, wohl auch nicht ausreichen kann), um vor dieser Angst zu befreien. Angst lässt sich aber auch durch Vertrauen in das Wissen anderer entgegentreten. Und hier sind unter anderem auch Physiker gefragt: als Vertrauenspersonen, wenn es um Entscheidungen geht, die naturwissenschaftlich basiert getroffen werden sollten.


Welche Fragestellungen der Physik begeistern Sie heute am meisten?

Neutrinophysik! Auch wenn ich selber nicht auf dem Gebiet arbeite, so faszinieren mich die inzwischen schon historischen Experimente wie GALLEX oder Super-Kamiokande und ich freue mich auf die Resultate von KATRIN.


Was Sie schon immer sagen wollten:

Die Nonchalance, mit der sich Radioreporter oder Fernsehmoderatoren zu Beginn eines Gesprächs mit Physikern als naturwissenschaftliche Ignoranten deklarieren ("Physik konnte ich in der Schule nie") ist geradezu frappierend, und ärgert mich immer wieder. In der Bevölkerung gilt naturwissenschaftliche Unbildung regelrecht als schick– und dabei ist unser Lebensstandard ohne Naturwissenschaften, und insbesondere auch ohne Physik, völlig undenkbar. Ich würde mir wünschen, dass Physik (und auch Mathematik, zumindest was den Umgang mit Zahlen in der Form von elementarem Rechnen angeht) in der Schule einen höheren Stellenwert erhielte: Die physikalische Grundbildung in der Bevölkerung ist schlechterdings fatal. Folglich werden Diskussionen z.B. im Kontext der Klimaerwärmung emotional geführt, was gewiss der falsche Ansatz ist. Das nämlich wissen Physiker: mit einem falschen Ansatz ist ein richtiges Ergebnis nicht zu erwarten!