Dossier: Reaktorunfälle

Im April 1986 passierte in Tschernobyl der schlimmste Unfall in der Geschichte der friedlichen Nutzung der Kernenergie. Knapp 25 Jahre später kam es infolge eines verheerenden Tsunamis auch im japanischen Kernkraftwerk Fukushima Daiichi zur Kernschmelze.

Artikel

Georg Steinhauser3/2020Seite 62

Chernobyl, Regie: Johan Renck

Fukushima – fünf Jahre danachGeorg Steinhauser und Akio Koizumi3/2016Seite 39

Fukushima – fünf Jahre danach

Die radioökologische Perspektive der Nuklidfreisetzungen und der Strahlenbelastung von Lebensmitteln

Knapp 25 Jahre nach Tschernobyl ereignete sich in Japan infolge eines schweren Erdbebens mit anschließendem Tsunami ein schwerer Nuklearunfall. Die radioaktiven Auswirkungen von Fukushima lassen sich jedoch nicht annähernd mit denen von Tschernobyl vergleichen. Heute gibt es in Japan zahlreiche Programme, um die Folgen der Nuklear­katastrophe genau zu charakterisieren und zu reduzieren.

Das schwerste Erdbeben seit Beginn der japanischen Geschichtsschreibung (Momenten-Magnitude 9,0 MW) und ein gigantischer Tsunami verursachten am 11. März 2011 an der Ostküste der japanischen Hauptinsel Honshu Verwüstungen unvorstellbaren Ausmaßes. Die Flutwelle drang bis zu zehn Kilometer ins Landesinnere und zerstörte alles, was sich ihr in den Weg stellte. Ein Jahr nach der Katastrophe lag die Zahl der Toten bei 15 854, weitere 3155 galten als vermisst. Die Überflutungen zerstörten auch die Notkühlsysteme des Kernkraftwerks Fukushima Daiichi. Drei der sechs Blöcke (Abb. 1) des Kernkraftwerks waren zum Zeitpunkt des Erdbebens in Betrieb, wurden aber bei den ersten seismischen Anzeichen für ein Erdbeben dieser Größenordnung automatisch heruntergefahren. Durch den Tsunami, der das Kraftwerksgelände knapp eine Stunde nach dem Erdbeben erreichte, kam es zur Zerstörung der Dieselgeneratoren und zum Ausfall aller Nebenwasser­kühlsysteme. Bedingt durch die Nachzerfallswärme insbesondere der kurzlebigen Spaltprodukte folgten Kernschmelzen in den drei Reaktoren, und zwar schneller als ursprünglich angenommen, wie aktuelle Arbeiten zeigen [1]. Ein Vorbeben vom 9. März mit einer Magnitude von 7,3 MW war nicht stark genug, um die automatische Reaktorschnell­abschaltung zu initiieren. Vermutlich hätte es sich auf den Unfallablauf positiv ausgewirkt, wären die Reaktoren zum Zeitpunkt des Kühlungsausfalls bereits zweieinhalb Tage „vorgekühlt“ gewesen.
Durch die hohen Temperaturen der Brennstäbe reagierte Wasserdampf mit der Zirkoniumlegierung der Hüllrohre und erzeugte beträchtliche Mengen Wasserstoff. Im Zuge des „Ventings“, also des Ablassens von Überdruck aus den Druckbehältern, entwich der Wasserstoff in den Servicebereich oberhalb der Reaktoren der Blöcke 1 und 3 und gelangte dort zur Explosion. Die Detonation in Block 3 war so heftig, dass japanische Behörden zunächst sogar eine nuklear getriebene Explosion nicht ausschließen wollten. Die Explosion in Block 4 war zunächst eine große Überraschung, da der Druckbehälter zum Zeitpunkt des Unfalls leergeräumt war und sich der gesamte Brennstoff in den Lagerbecken befand. Die Vorstellung, dass es dort zu Schmelzvorgängen an den Brennelementen und folglich auch Wasserstoffentwicklung gekommen war, löste große Nervosität aus. Jedoch zeigte sich, dass der für die Zerstörung des Blocks 4 verantwortliche Wasserstoff aus Block 3 stammte und durch gemeinsame Rohrleitungen zum Abgaskamin in Block 4 gelangt war und dort zündete. Mittlerweile ist es gelungen, die Brennelemente aus dem Abklingbecken von Block 4 zu bergen. Zum überwiegenden Teil waren sie unbeschädigt...

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„Fukushima ist mehr als dieser Unfall.“Maike Pfalz3/2016Seite 44

„Fukushima ist mehr als dieser Unfall.“

Interview mit zwei Physikstudierenden der Leibniz Universität Hannover, die am Fukushima Ambassador Program teilgenommen haben.

Im Rahmen des Fukushima Ambassador Program#) waren neun Studierende aus Deutschland und den USA im Januar zwei Wochen in Fukushima, darunter Annika Wunnenberg und Peter Brozynski von der Uni Hannover. Die Studierenden besuchten die von Tsunami und Nuklearkatastrophe betroffenen Gebiete und unterstützten ein Projekt zum Wiederaufbau.

Wie haben Freunde und Familie darauf reagiert, dass Sie nach Fukushima fahren?
Peter Brozynski: Meine Mutter hat sofort „nein“ gesagt! Viele wissen zu wenig darüber und stufen die Situation als gefährlich ein. Wir haben immer Dosimeter getragen. Deswegen konnte ich meine Mutter hinterher beruhigen: Während des Hin- und Rückflugs habe ich viermal mehr Dosis abbekommen als während des Aufenthalts! ...

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Naoto Kan3/2016Seite 60

Naoto Kan: Als Premierminister während der Fukushima-Krise

G. Ludwig, M. Gorbatschow3/2016Seite 60

G. Ludwig, M. Gorbatschow: Der lange Schatten von Tschernobyl

Stefan Jorda3/2015Seite 6

Lehren aus Fukushima

Lokaltermin in FukushimaGeorg Steinhauser9/2013Seite 25

Lokaltermin in Fukushima

Eine Delegation untersucht die Zone um das zerstörte Kernkraftwerk Fukushima.

Auch zweieinhalb Jahre nach der Katastrophe ist Fukushima regel­mäßig in den Medien präsent – zuletzt, als bekannt wurde, dass radioaktiv verseuchtes Wasser ins Meer fließt. Von der Öffentlichkeit weitgehend unbemerkt schreiten die Aufräumarbeiten aber ebenso voran wie die japanischen Bemühungen, die Auswirkungen des Unfalls und der Strahlung zu untersuchen. Im Zuge einer Kooperation zwischen der Fukushima University und der Colorado State University erhielt eine amerikanische Delegation die einzigartige Möglichkeit, dorthin vorzudringen, wo wenige freiwillig hin möchten – und noch weniger vorgelassen werden: in die „Todes­zone“ rund um das havarierte Kraftwerk Fukushima Daiichi.

Die Erinnerungen an die düs­teren Tage im sonnigen März 2011, als die ganze Welt sorgenvoll nach Japan blickte, kommen uns unweigerlich in den Sinn, als wir im sonnigen Juni 2013 aus dem Shinkansen an jener Station aussteigen, die sinnbildlich für das Versagen der Technik zu stehen scheint: Fukushima. An zahlreichen Messstationen in Fukushima City zeigen große Displays für alle sichtbar die Dosisleis­tungswerte – sie unterscheiden sich weder von den Werten unserer Messgeräte (0,15 µSv/h) noch vom Dosisleistungshintergrund in Fort Collins (Heimatstadt der Colorado State University am Fuße der Rocky Mountains). Dennoch reichte die unsichtbare Aura der Stadt, um die Zahl der ausländischen Gaststudenten von mehreren Dutzend vor dem Unfall auf null zu senken.

Die Angehörigen der Fukushima University scheinen gezeichnet vom Stigma, das der Stadt anhaftet. Als hätten sie mit dem Erdbeben, dem Tsunami und dann rund 2000 Flüchtlingen, die in der Turnhalle dieser kleinen, 5000 Studenten zählenden Universität untergebracht wurden, nicht schon genug zu ertragen gehabt. Nun beteiligt sich die Universität an Kampagnen, die das Vertrauen der Verbraucher in Lebensmittel und andere Erzeugnisse aus der Präfektur wiederherstellen soll. Kein einfaches Unterfangen in Zeiten, in denen dubiose Geschäftsleute mit noch dubioseren Messungen die Gegend unsicher machen und den verängstigten Hausbesitzern suggerieren, ihr Grundbesitz sei mit 70 µSv/h hochkontaminiert. Daraus ließe sich ­eine externe Jahresdosis von 600 mSv ableiten. Ein Blick auf die derzeitigen Kontaminationskarten legt jedoch nahe, dass die wahren Werte in jener Gegend wohl mindes­tens um einen Faktor 100 niedriger liegen – was jenen, die kostspielige Dekontaminationsmaßnahmen anbieten, aber das Geschäft verderben würde. Die tatsächliche Jahresdosis von 1 bis 5 mSv liegt zwar wohl über dem in Deutschland für die Allgemeinbevölkerung gültigen Grenzwert von 1 mSv (ohne natürliche und medizinische Bestrahlung), ist aber so niedrig, dass sich gesundheitliche Auswirkungen nicht nachweisen lassen. Für beruflich strahlenexponiertes Personal gilt hierzulande übrigens ein Grenzwert von 20 mSv/Jahr. ...

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Alexander Pawlak3/2012Seite 6

Fukushima, ein Jahr danach

Alexander Pawlak5/2011Seite 6

Fukushima: ''Pauschalurteile dürfen wir uns nicht erlauben''

Interview mit Joachim Knebel

Tschernobyl – 30 Jahre danachClemens Walther, Peter Brozynski und Sergiy Dubchak3/2016Seite 31

Tschernobyl – 30 Jahre danach

Ist eine Nutzung der kontaminierten Gebiete wieder möglich?

Die Auswirkungen der nuklearen Katastrophe von Tschernobyl sind auch heute noch zu spüren: Große Flächen um das ehemalige Kraftwerk weisen nach wie vor hohe Kontaminationen mit Radionukliden auf. Die Natur hat sich weitgehend von den akuten Schäden erholt, sodass ein einzigartiges Ökosystem ohne Einfluss des Menschen entstanden ist. In der Ukraine gibt es erste Versuche, die kontaminierten Gebiete wieder zu nutzen.

Am 26. April 1986 kam es in Reaktorblock 4 des Kernkraftwerks Tschernobyl in der heutigen Ukra­ine zum schwerwiegendsten Unfall in der zivilen Nutzung der Kernenergie [1]. In einem Test sollte geprüft werden, ob die Rotationsenergie der Turbinen zur Energieversorgung des Reaktors ausreicht, bis Notstromaggregate anspringen. Bei dem RBMK-Reaktor (Reaktor Bolschoi Moschtschnosti Kanalmy – Hochleistungsreaktor mit Kanälen) handelt es sich um einen graphitmoderierten Siedewasser­reaktor. Das Spaltmaterial befindet sich in Druckröhren, die das Kühlwasser durchströmt. Wechselnde Lastanforderungen im Vorfeld des Tests führten zu einem äußerst instabilen Zustand des Reaktors, der den Abbruch des Test erfordert hätte.
Um den Test fortzuführen, überbrückte das Personal aber vorsätzlich sicherheitsrelevante Einrichtungen. Fehleinschätzungen des unzureichend geschulten Personals sowie Designschwächen dieses Reaktortyps – insbesondere ein Ansteigen der Reaktorleistung bei Dampfblasenbildung und die Bauart der Abschalt- und Regelstäbe – führten zu einer sprunghaften Leistungsexkursion bis zum Sechzigfachen der Nennleistung innerhalb weniger Sekunden. Infolgedessen explodierte der Reaktor, sprengte die 3000 Tonnen schwere Reaktordeckplatte ab und fing Feuer. Durch eine fehlende weitere druckfeste Sicherheitsbarriere lag der zerstörte Reaktorkern frei, sodass es durch den Brand zu einem massiven Austrag radioaktiven Materials in bis zu mehrere Kilometer Höhe kam. Erst zehn Tage später gelang es, den Brand zu löschen und den Reaktor vorläufig abzudecken. In dieser Zeit wurden je nach Isotop zwischen ein und fünfzig Prozent des radioaktiven Inventars, insgesamt etwa 5300 PBq, freigesetzt. Der größte Anteil entfiel auf flüchtige Stoffe wie die Isotope der Edelgase Xenon und Krypton sowie 129mTe und 132Te, mehrere Iodisotope, 134Cs und 137Cs (Abb. 3 auf Seite 41). Vom radioaktiven Strontium wurden etwa drei bis fünf Prozent emittiert, von den schwer flüchtigen Elementen sowie den Actiniden Uran, Neptunium, Plutonium und Americium etwa ein Prozent. Wechselnde Winde verteilten die flüchtigen Stoffe über weite Teile Europas [2]. Regenfälle wuschen die radioaktiven Stoffe aus und kontaminierten eine Fläche von mehr als 190 000 km2 mit Depositionsdichten von über 37 kBq/m2 durch 137Cs [3]. Davon lagen 45 000 km2 außerhalb der damaligen Sowjetunion, wobei die höchs­ten Depo­sitionsdichten in einigen Gebieten Skandinaviens, Österreichs und des Bayerischen Waldes zu verzeichnen waren. Der bei weitem größte Teil der kontaminierten Flächen mit Depositionsdichten über 185 kBq/m2 befand sich in den heutigen Staaten Ukraine, Belarus und Russland [4], darunter auch die hoch kontaminierten Gebiete mit über 1500 kBq/m2. Mehr als 90 % der Actiniden sowie 90Sr, 141Ce und 144Ce wurden in Form von bis zu 10 µm großen Brennstofffragmenten freigesetzt. Da diese Partikel nicht in große atmosphärische Höhen gelangten, gingen sie meist in Entfernungen von bis zu 30 Kilometern um den Unglücksort nieder [5]. Diese Isotope haben also ausschließlich Gebiete in den heutigen Staaten Ukraine, Belarus und Russland kontaminiert...

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Werner Burkart und Tomihiro Taniguchi4/2006Seite 3

Mehr Sicherheit nach Tschernobyl?

4/2006Seite 29

20 Jahre Tschernobyl

Die Explosion des Reaktorblocks 4 in Tschernobyl während eines technischen Tests war der schlimmste Unfall in der Geschichte der friedlichen Nutzung der Kernenergie. Die freigesetzte radioaktive Wolke breitete sich nicht nur auf die angrenzenden Länder der ehemaligen Sowjet­union aus, sondern kontaminierte auch weite Bereiche in Mittel­europa mit teilweise noch heute spürbaren Auswirkungen.

Peter Jacob, Werner Rühm und Herwig G. Paretzke4/2006Seite 43

Die gesundheitlichen Auswirkungen

Studien zu den Spätfolgen der Atombombenexplosionen in Hiroshima und Nagasaki legen nahe, dass es für eine abschließende Bewertung der gesundheitlichen Folgen des Reaktorunfalls noch viel zu früh ist. Bereits heute zeigt sich aber, dass in der Ukraine und in Weißrussland insbesondere Personen, die zum Zeitpunkt des Unfalls jünger als 18 Jahre waren, mit einer überdurchschnittlich hohen Wahrscheinlichkeit an Schilddrüsenkrebs erkranken.

Kurt Kugeler, Inga Maren Tragsdorf und Nathalie Pöppe4/2006Seite 31

Der Unfall - Hergang und Erklärungen

Inzwischen ist es möglich, das Unfallgeschehen im Block 4 des Kernkraftwerks Tschernobyl recht detailliert zu rekonstruieren. Zur Katastrophe führte ein Experiment, das in der Nacht vom 25. auf den 26. April 1986 im Rahmen von Wartungsarbeiten durchgeführt wurde. Konstruktionsbedingt und aufgrund von Bedienungsfehlern führte dabei eine positive Rückkopplung zu einer explosionsartigen Leistungszunahme und der anschließenden Zerstörung des Reaktors.

Rolf Michel und Gabriele Voigt4/2006Seite 37

Die Wege der Radionuklide

Der Reaktorunfall von Tschernobyl führte zu einer großflächigen Kontamination von Belarus, Russland und der Ukraine sowie Mittel- und Nordeuropa. Bedingt durch den Frühling wurden dabei landwirtschaftlich genutztes Gebiet und Vegetation kontaminiert. Vor allem Cäsium-137 und Jod-131 gelangten so schnell in die Nahrungskette von Mensch und Tier und führten damit zur internen Strahlenexposition der Bevölkerung. Auch zwei Jahrzehnte nach dem Unfall sind die Auswirkungen immer noch zu spüren.

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