Interview mit Dipl. Phys. Martina Erlemann
Physikerinnen mit Auslandserfahrungen: März - Juli 2000:
Mit | sprach |
Dipl. Phys. Martina Erlemann Institut für Wissenschaftstheorie und Wissenschaftsforschung Universität Wien |
Dr. Johanna Lippmann Columbia University New York, USA. http://www.ldeo.columbia.edu/~lippma nn/ |
Johanna(1):
Martina, Du hast in Hamburg Physik studiert und
bist seitdem in Wien in Österreich. Was hast Du seit dem Studium beruflich
gemacht.
Martina(1):
Das stimmt insofern nicht ganz. Zwischen meinem
Studienabschluß in Physik und dem Beginn meiner "Wiener Zeit" liegen
zweieinhalb Jahre, in denen ich mich beruflich sehr umorientiert habe.
Nach dem Studium stand für mich nur der Entschluß
fest, daß ich Physik nicht beruflich machen wollte, weder in der
Forschung noch in der freien Wirtschaft. Ich war eher daran interessiert,
etwas ÜBER Physik und über Naturwissenschaften zu machen. Wie
ich meine Interessen konkret umsetzten könnte, war mir direkt nach
dem Studium noch nicht ganz klar.
Ich habe ein paar Semester Geschichte der Naturwissenschaften
studiert und nebenbei gejobbt, ein Praktikum im Wissenschaftsmanagement
gemacht und danach gesucht, wie und wo ich das machen kann, was mich eigentlich
interessiert. So bin ich schließlich auf die Wissenschaftssoziologie
gekommen und habe mich entschlossen, doch zu promovieren, was ich vorher
ja noch gar nicht unbedingt vorhatte.
In Wien gab es nun gerade ein Institut, dessen Schwerpunkt
mit meinem Interessensgebiet übereinstimmte, der Beziehung zwischen
Wissenschaft und Öffentlichkeit. Da ich während meines Physikstudiums
keinen Auslandsaufenthalt hatte, kam es mir ganz gelegen, daß dies
Institut nicht gerade in Deutschland lag, das für mich in Frage käme.
So bin ich schließlich im Herbst 97 nach Wien gezogen.
Johanna(2):
Warst Du dann an der Fakultät für Wissenschaftssoziologie
wieder Vollzeitstudentin oder hast Du Deinen Physikabschluß vielleicht
für eine Assistentinnenstelle gebrauchen Können? Wie hast Du
Dich dann in Wien finanziert? Wußtest Du das schon, als Du nach Wien
umgezogen bist?
Martina (2):
Vollzeitstudentin war ich nur für kurze Zeit,
für ein halbes Jahr hatte ich ein Stipendium aus Berlin. In der Zeit
habe ich noch ausstehende Scheine gemacht. Da ich ja in den Sozialwissenschaften
promovieren will und das als Naturwissenschaftlerin nicht so ohne weiteres
geht, vor allem nicht an jeder Uni, habe ich meine Zulassung zur Promotion
an der Humboldt-Uni in Berlin beantragt, nachdem ich vorher bei einer Professorin
war, die sich bereit erklärt hatte, Erstgutachterin zu werden. Ich
wurde zugelassen unter der Bedingung, noch gewisse Leistungsnachweise zu
erbringen. Welche, das konnte ich selbst zusammenstellen als eine Art persönlichen
Studienplan.
Also, um eine Assistentinstelle in den Sozialwissenschaften
zu bekommen, nützt einem ein naturwissenschaftliches Diplom gar nichts.
Aus deren Perspektive war ich halt eine Studienanfängerin. Nach dem
"ultrakurzen" Soziologiestudium war ich noch nicht so weit mit meiner eigentlichen
Dissertation, daß ich ein Stipendium oder einen Projektantrag stellen
konnte. Daher mußte ich "nebenbei" arbeiten. Da ich zumindest etwas
machen wollte, was mir praktische Berufserfahrungen bringt, wenn ich meine
Promotion schon durch "klassische" Erwerbstätigkeit finanzieren muß,
hatte ich mich schließlich im IT-Consulting Bereich beworben. Dort
habe ich dann 30 Stunden die Woche gearbeitet, eineinhalb Jahre lang. Daneben
habe ich die letzten beiden Prüfungen in Wissenschaftssoziologie gemacht.
Aber mit meiner Promotion bin ich kaum weiter gekommen. Das war für
mich zeitweise frustrierend, da ich hierher (nach Wien) gekommen bin, um
zu promovieren und die Bedingungen für mich so waren, daß ich
es praktisch nicht machen konnte. Jedenfalls nicht intensiv genug.
Bevor ich nach Wien kam, wußte ich schon,
daß ich keine Aussicht auf eine Unistelle zur Promotion haben würde
und daß es etwas dauern würde, bis ich sattelfest in Wien und
in Wissenschaftssoziologie sein würde. Daß es aber so langwierig
werden würde, bis ich eine Finanzierungsform finden würde, mit
der ich auch wirklich praktisch promovieren kann, das hatte ich nicht so
eingeschätzt. Im nachhinein ein Glück, hätte ich es vorher
gewußt, daß es streckenweise so frustrierend sein würde,
hätte ich diesen Schritt, einen totalen Fachwechsel zu machen und
das auch noch im Ausland, vielleicht nicht gemacht.
Als Resümee kann ich nur jeder raten, die Finanzierung
im Ausland einigermaßen sicherzustellen, es sei denn, man ist in
materiellen Dingen abenteuerlustig und auch dazu bereit, sich durchzukämpfen.
Man braucht dann unter Umständen einen langen Atem. Aber wenn man
dann etwas durchgesetzt hat, wie man es sich vorgestellt hat, ist es auch
ein sehr befriedigendes Gefühl und macht auch Mut für die Zukunft.
Johanna(3):
Du schreibst das ja alles jetzt in der Vergangenheitsform.
Also hast Du jetzt eine Finanzierung gefunden und es geht voran! Das ist
ja super, erzähl doch mal.
Martina (3):
Ja, seit einem Monat kann ich auf Werkvertragsbasis
am Institut arbeiten. Das heißt, ich teile meine Arbeit auf, auf
einer halben Werkvertragsstelle arbeite ich für das Institut, die
restliche Zeit ist für meine Dissertation reserviert. Die Arbeit für
das Institut ist so ausgerichtet, daß ich auch für meine Diss
davon profitieren kann. Was für mich natürlich ideal ist. Der
Werkvertrag läuft bis Ende des Jahres. Was danach kommt, ist noch
unklar, aber in diesem Jahr habe ich viel Freiraum für meine Arbeit,
so daß ich um einiges weiterkommen kann. Das erhöht ja auch
die Chance, daß ich besser Fuß fassen kann im Wissenschaftsbetrieb.
Johanna(4):
Martina, ich bescheinige Dir glattweg einen eisernen
Willen, Dein Ziel, eine Dissertation auf einem Dich besonders interessierenden
und für uns Physikerinnen allgemein sehr interessanten Gebiet zu schreiben.
Offensichtlich ist ein Fachwechsel, gekoppelt mit einem Länderwechsel,
ein besonders erschwerendes Unterfangen, aber Du hast bisher schon unheimlich
viel erreicht.
Kannst Du vielleicht in drei Takten kurz beschreiben,
was Thema Deiner Arbeit ist?
Martina (4):
Es geht darum, wie Wissenschaft, speziell Physik,
in den Medien dargestellt wird. Es wird dort ein Bild erzeugt, daß
sich mit der Realität der Wissenschaft gar nicht unbedingt deckt.
Gerade Physik ist eine von der Gesellschaft sehr abgeschottete Community
und dies wird auch von den Physikern sehr gefördert. Das Bild, das
die sogenannte Öffentlichkeit von Physik hat, ist eher ein Zerrbild
meiner Ansicht nach.
In meiner Arbeit geht es speziell um die Darstellungen
der Wissenschaftler. Von ihnen wird ein Bild gezeichnet, das stark den
Geschlechterrollenklischees entspricht. Das heißt, der typische Physiker
ist männlich, rational, nüchtern, intelligent, achtet nicht auf
den äußeren Schein der Dinge, der objektiven Wahrheit verpflichtet.
Und die Klischees über Frauen passen nicht zu diesem Bild. Werden
Wissenschaftlerinnen dargestellt, so sind Brüche zu verzeichnen: Entweder
ist sie TROTZDEM ein richtige Frau oder sie ist halt eine nicht so richtig
HARTE Wissenschaftlerin.
Um das sozialwissenschaftlich zu belegen und genauer
zu analysieren (das oben waren sozusagen meine Thesen umgangssprachlich
ausgedrückt) mache ich eine Analyse von Printmedien, die WissenschaftlerInnen
präsentieren. Kombinieren werde ich das anschließend mit Interviews
mit Journalisten (die Produzenten der Bilder) und mit Physikerinnen.
Johanna(5):
Martina, der Zusammenhang geschlechterspezifischer
Wissenschaftsansätze, Bilder von Wissenschaft, Herangehensweisen an
Problemstellungen und deren Darstellung fällt ja ganz grob unter die
Rubrik Genderstudies. Kannst Du da ein Statement abgeben, wie es auf diesem
Gebiet in Deutschland im internationalen Vergleich aussieht?
Martina(5):
Das ist etwas komplizierter, man könnte natürlich
auch die Medien unter ganz anderen Aspekten analysieren. Das ist gerade
Teil meiner Argumentation, daß ich dafür Theorien und Konzepte
der Gender Studies heranziehen möchte, da ich der Meinung bin, daß
eine Untersuchung nach dieser Analysekategorie aufzeigen kann, wie die
Darstellung von Wissenschaft geschlechterhierarchisch strukturiert ist
und was für Folgen das hat auf die ganz konkrete Situation, also die
mangelnde Partizipation von Frauen in der Wissenschaft. Das ist jetzt zwar
sehr verkürzt ausgedrückt, aber ich will damit sagen, daß
es immer die Betrachtungsweise des einzelnen Forschers ist, wo er oder
sie ihren Schwerpunkt setzt. Und gerade diese Verbindung aus Wissenschaftsforschung
und Gender Studies ist generell noch ein sehr unterbelichtetes Forschungsgebiet.
Die bahnbrechenden Theorien der Gender Studies kamen
eher aus dem anglo-amerikanischen Raum. In Deutschland gibt es sehr viele
empirische Studien über die berufliche Situation von Frauen, Forschungen
über Karrieren oder Barrieren, viele Ideen und Ansätze zur Gleichstellungspolitik.
Die sind meist eher empirisch angelegt, sozusagen eine Analyse des Status
Quo. Aber was das nun auf einer abstrakteren Ebene bedeuten kann, ist für
mein Empfinden immer ein wenig zu kurz gekommen. Daneben gibt es auch unheimlich
viel aus der pädagogischen Ecke, schulische Sozialisation von Mädchen
und Jungen, die Debatte über Monoedukation. Auch in der Wissenschaftsgeschichte
wird ganz fleißig geforscht. Aber Gender als die Gesellschaft strukturierende
Kategorie wird meist ausgeblendet.
In der Wissenschaftsforschung habe ich in Deutschland
die Wissenschaftssoziologie immer ein wenig vermißt. Die Wissenschaftsforschung
hat dort meist andere Schwerpunkte als mein Ansatz. Ein häufiger Schwerpunkt
dort ist eher Technikforschung, historische und epistemologische Ansätze
waren institutionell meist stark getrennt. Daher bin ich auch nach Wien
gegangen, hier kann ich über die Wechselbeziehung von Wissenschaft
und Öffentlichkeit arbeiten, was ich als Schwerpunkt in Deutschland
nicht gefunden habe.
In Deutschland haben sie jetzt das Public Understanding
of Science sozusagen entdeckt, jedoch in sehr altbackenen Modellen, nämlich
immer als "Der Wissenschaftler belehrt den unwissenden Laien", woraufhin
der nun aufgeklärte Laie wieder Vertrauen in die "ERrungenschaften"
von Wissenschaften und Technik gewinnt. Viele Studien aus dem anglo-amerikanischen
Raum haben gezeigt, daß das wohl eher eine Wunschverstellung von
Wissenschaftlern ist, aber die Realität vielschichtiger ist und viel
komplizierter.
Ja, soviel zu den Lücken und blinden Flecken
der deutschen Wissenschaftsforschung. Gender Studies im deutschen Kontext
bin ich ehrlich gesagt sehr selten begegnet, dem Thema Gender and Science
so gut wie nie. Dafür gibt es in Deutschland ein zartes Pflänzlein
zur feministischen Naturwissenschaftskritik, die wiederum sehr typisch
sehr "grounded", also bodenständig in der Argumentation ist.
Johanna:
Liebe Martina, zum Glück habe ich Dich während
unserer gemeinsamen Zeit in Wien kennengelernt. Viele kennen Dich auf Grund
Deiner Mitarbeit im AKC (http://www.dpg-fachgremien/akc).
Du arbeitest an einem sehr spannenden Thema und ich wünsche Dir weiterhin
das Allerbeste für Deine Promotion!