59. Physikertagung Berlin 1995 Dienstag 21. März 1995


Nichtverbreitung von Atomwaffen und Kernwaffenteststopp

1995 jährt sich das Inkrafttreten des Vertrages zur Nicht-Verbreitung von Atomwaffen zum 25. Mal. Mit über 160 Unterzeichnerländern ist der Non-Proliferation Treaty (NPT) einer der erfolgreichsten Rüstungskontrollverträge. Seit 1975 haben vier internationale Konferenzen zur Überprüfung der Wirksamkeit des Vertrages stattgefunden. Die fünfte Überprüfungskonferenz, die im April 1995 in New York beginnt, wird auch über die Verlängerung des Vertrages zu beschließen haben. Aus diesem Anlaß veranstaltet die Deutsche Physikalische Gesellschaft im Rahmen der Frühjahrstagung eine Fachsitzung "Nicht-Verbreitung von Atomwaffen und Kernwaffenteststopp", auf der über die Hintergründe aus physikalischer Sicht informiert werden soll. Die Vorträge werden von Physikern gehalten, die schon langjährig in der aktiven Politikberatung oder in interdisziplinären Forschungsprojekten an diesen Themen arbeiten. Die Fachsitzung soll somit auch diesen Kolleginnen und Kollegen eine Gelegenheit geben, ihre Ergebnisse der physikalischen Öffentlichkeit vorzustellen.


Overview on potential future disposition options for plutonium form dismatied nuclear warheads

W. Panofsky ( Stanford Linear Accelerator Center, Bin 76, SLAC, P,.O.Box 4349, Stanford, USA - CA 94309)

In 1994, the U.S. National Academy of Science (NAS) published a study on the question of the future disposition of plutonium from dismantled nuclear weapons. The study discusses several options with the criterion to exclude any future military reuse as efficiently as possible. Other criteria such as technical feasability, economy, environmental effects, and international acceptance are also taken into account. The study comes to the conclusion that especially two options are promising. the fabrication of mixed oxide fuel and subsequent burn in light water reactors and the mising with highly radioactive waste and subsequent glassification and final disposal. The talk will give an overview on the problems, on the most important suggestions for solutions, and on the results of the NAS study.


Intelligence versus Science

V.I. Goldanskii ( Institute of Chemical Physics, Moscow)

After the breakup of the former Soviet Union, al lot more has become known on the history of the Soviet nuclear weapon program. The first Soviet test in 1949 was a copy of the American implosion-type bomb that had already been tested before at Alamogordo and Nagasaki. A failure of the first test of a Soviet atomic bomb would certainly have led to the total devastation of Soviet physics, similar to the destruction of Soviet biology in 1948. It had to be started by denouncing of relativity theory and quantum mechanics as "poisoned tools of ideological saboteurs". The atomic test in fact saved Soviet physics. Two years later, the Soviet Union successfully tested two atomic bombs of original domestic design. In the early development of thermonuclear weapons, Soviet scientists out-distanced their American colleagues. The talk will present personal reflections of at that time young newcomer to the nuclear field. It will reject recent allegations concerning a decisive role of intelligence in appearance of Soviet nuclear weapons, offensive for both Russian and Western scientists and aiming to discredit russian intelligentsia and to create the atmosphere of xenophobia, hostility, and mistrust within the world scientific community. The talk will also address the deteriorating social situation in Russian science.


Waffentauglichkeit von Reaktorplutonium

E. Kankeleit (Institut für Kernphysik und Interdisziplinäre Arbeitsgruppe Naturwissenschaft, Technik und Sicherheit (IANUS), Schloßgartenstr. 9, 64289 Darmstadt)

Die Isotopenzusammensetzung von Plutonium, das nicht speziell für Waffenzwecke produziert wurde, also beispielsweise sogenanntes Reaktorplutonium, das aus üblichen Leichtwasserreaktoren gewonnen wird, hat Einfluß auf seine Tauglichkeit für die Verwendung in Kernwaffen. Bedeutung hat die Erhöhung des Neutronenhintergrundes, der Wärmeentwicklung und der radioaktiven Strahlung. Diese Effekte werden in ihren Grundzügen diskutiert für Spaltstoffmengen und Anordnungen die weitgehend derjenigen des Trinity-tests und der Nagasaki-Bombe verbleichbar sind. Eine grobe Abschätzung für die Frühzündungswahrscheinlichkeit aufgrund des n-Hintergrundes, die zu einer erheblichen Reduzierung der Energieausbeute führen könnte, wird gegeben und mit veröffentlichten Daten von R. Oppenheimer verglichen. Es stellt sich heraus, daß die Wahrscheinlichkeitsverteilung für die Energieausbeute kritisch abhängt von der Kompaktierungsgeschwindigkeit der Anordnung. Für realistische Kompaktierungsgeschwindigkeiten von 2-4 km/s kann von der Existenz einer Mindestsprengkraft gesprochen werden, die im Bereich einer bis einiger kt TNT liegt. Extrapolationen daraus für heutige kompakte Anordnungen werden ebenfalls vorgestellt.


An intermediate solution for plutonium  rom dismantled nuclear warheads instead of final disposal

E. Lyman (Center for Energy and Environmental Studies, The Program on Science & Global Security, Princeton University, USA)

A strategy for the management of excess weapons plutonium during the period prior to final disposition is analyzed. In this approach, plutonium pits would be blended with a highly radioactive diluent or otherwise rendered inaccessible in such a way that either eventual utilization in reactors or direct geologic disposal would remain a viable alternative, without requiring substantial additional processing. The Chief benefit would be to mitigate the near-term risks of diversion and theft associated with interim pit storage, by drastically reducing the ease with which the material can be handled. Several dilution processes that may be suitable are discussed, with regard to flexibility, diversion risks, technical difficulty, and environmental risks. One of them, bases on Integral Fast Reactor (IFR) metallic fuel pyroprocessing technology, has a number of disadvantages and is not recommended. Another, which is based on the Atomics International Reduction-OXidation (AIROX) process for the recycling of spent oxide fuel, is considerably more promising. A third option, in which plutonium is incorporated into refractory ceramic fuels that are supposedly more difficult to reprocess, is also examined.


MOX-Brennelemente als Möglichkeit der Entsorgung von militärischem Plutonium (?)

A. MAX (§ GmbH. Postfach 1313, 63755 Alzenau)

Die US National Academy of Science schätzt, daß innerhalb der nächsten Jahre etwa 100 t Plutonium aus den Waffenarsenalen der USA und Rußlands frei werden. Die Entsorgung dieses Materials durch den Einsatz von MOX-Brennelementen in Kernkraftwerken ist jedoch problematisch. In den USA gibt es derzeit keine MOX-Fertigungskapazitäten. Keiner der US-Reaktoren hat eine Genehmigung zur MOX-Beladung. Der potentielle Einsatz von MOX-Elementen dürfte große genehmigungsrechtliche und Akzeptanz-Probleme in den USA aufwerfen. In Rußland gibt es keine kommerziellen MOX-Fertigungsanlagen. Keiner der russischen Reaktoren hat eine Genehmigung zur MOX-Beladung. In Europa sind die derzeitigen Pläne zur Rezyklierung von Plutonium eng mit den Entsorgungsstrategien der EVUs verknüpft. Da aber voraussichtlich alle europäischen Länder mit Ausnahme Frankreichs mittel- oder langfristig von der Wiederaufarbeitung abrücken und zur direkten Endlagerung übergehen werden, bleiben in Europa möglicherweise nur französische Reaktoren, die mit MOX aus waffenfähigem Plutonium beladen werden könnten. Die Akzeptanz der Öffentkeit für die MOX-Rezyklierung ist in Europa sehr gering. Diese Tatsache dürfte sich kaum ändern, wenn es sich um Waffenplutonium handelt. Der Vortrag wird deutlich machen, daß erhebliche politische, technische, genehmigungsrechtliche und finanzielle Probleme überwunden werden müssen, um den Weg für die Rezyklierung von waffenfähigen Plutomium zu bahnen.


Aussichten auf Beseitigung  von waffenfähigem Plutonium durch Transmutation

W. Liebert ( Interdisziplinäre Arbeitsgruppe Naturwissenschaft, Technik und Sicherheit (IANUS) der TH Darmstadt, Institut für Kernphysik, Schloßgartenstr. 9, 64289 Darmstadt)

Eine alte Idee aus den siebziger Jahren bekommt neue Aktualität: in hohen Neutronenflüssen können langlebige Isotope, insbesondere Transurane, so transmutiert werden, daß nur stabile oder verhältnismäßig kurzlebige schwach- und mittelaktive Substanzen zurückbleiben. Voraussetzung dafür ist, daß heute Linearbeschleuniger, die Protonen im GeV-Bereich produzieren, machbar erscheinen, so daß ein extrem hoher Neutronenfluß von etwa 1016n/cm2s über ein Spallationstarget aus Blei oder Wismut erzeugt werden könnte. Darauf basierende technologische Ideen werden zur Zeit in Hinblick auf Plutoniumbeseitigung und neue Reaktorkonzepte diskutiert. Das Prinzip der Transmutation von Plutonium wird erläutert. Die Zukunftsaussichten dieses möglicherweise eleganten Weges werden diskutiert anhand von Abschätzungen über Energieverbrauch, mögliche Durchsatzmengen und erwartete Kosten, sowie einer Einschätzung weiterer technischer Voraussetzungen und erwarteter Schwierigkeiten der Realisierung.


Safeguards und physischer Schutz von Plutonium und anderem Nuklearmaterial

P. Schwalbach (EURATOM, L-2920 Luxembourg)

Vor der Umsetzung technischer Möglichkeiten, das Plutoniumproben zu lösen, muß das Material zwischengelagert werden. Hierfür ist ein aufwendiger physischer Schutz notwendig. Es ist darüberhinaus wünschenswert, ein solches Lager internationaler Kontrolle (Safeguards) zu unterstellen. Dies schon deshalb, um international Vertrauen in die Glaubwürdigkeit der sicheren Einlagerung zu erzielen. Der Vortrag wird einen Überblik über den typischen nötigen technischen Aufwand für eine solche Kontrolle geben und Meßverfahren vorstellen, die angewendet werden können.


25 Jahre Vertrag zur Nicht-Verbreitung von Atomwaffen

U. Ratsch ( Forschungsstätte der Evangelischen Studiengemeinschaft, Schmeilweg 5, 69118 Heidelberg)

Der Nicht-Verbreitungsvertrag (NPT) ist mit über 160 Unterzeichnerländern der erfolgreichste Vertrag der Rüstungskontrolle. Neben dem Verzicht auf Kernwaffen haben sich die Unterzeichner auch zur Überwachung ihrer Atomanlagen durch die Internationale Atomenergie-Agentur (AEA) bereit erklärt. Obwohl die Inspektionen der IAEA die unerlaubte Abzweigung von Spaltstoffen nur mit geringen Wahrscheinlichkeiten nachweisen könnten, haben sie doch eine hohe vertrauensbildende Wirkung, Schwierigkeiten der Durchführung ergaben sich im Konfliktfall Nordkorea. Auch die Länder die Atomwaffen besitzen, haben sich verpflichtet, "Verhandlungen zu führen über wirksame Maßnahmen ... zur nuklearen Abrüstung" (Artikel VI, NPT). 1995 wird über die Verlängerung des NPT entschieden. Die vorliegenden Ergänzungsvorschläge zielen vor allem auf eine konkrete Ausgestaltung des Artikel VI, u.a. ein vollständiges Verbot von Atomwaffentests und der Produktion von waffenfähigem spaltbaren Material.


Internationale Kontrolle von Tritium

M. Kalinowski ( Interdisziplinäre Arbeitsgruppe Naturwissenschaft, Technik und Sicherheit (IANUS) der TH Darmstadt, Institut für Kernphysik, Schloßgartenstr. 9, 64289 Darmstadt)

Tritium wird in Kernwaffen v.a. zur Steigerung der Effizienz von Spaltstoffen eingesetzt. Es unterliegt derzeit nur in einem Präzedenzfall in Europa einer internationalen Kontrolle und es fehlte bisher an detailliertem Wissen über die technischen Möglichkeiten und Folgen einer internationalen Kontrolle illegaler Produktion oder Entwendung von Tritium. Ein Überblick wird gegeben über die weltweiten Inventars und Stoffströme von Tritium, die möglichen Pfade zur illegalen Abzweigung, sowie die davon abgeleiteten Kontrollmaßnahmen. Der wesentliche heimliche Tritiumproduktionspfad ist die Erbrütung aus Lithium-6 in speziellen Targetstäben in einem Reaktorbrennelement. Mittels einer Monte-Carlo Simulation von Neutronentransportvorgängen kann gezeigt werden, daß der bei IAEO Safeguards routinemäßig eingesetzte Neutronenkoinzidenzzähler auch Indikatoren für heimliche Tritiumproduktion liefern könnte. Schließlich wird eine technische Bewertung einer internationalen Tritiumkontrolle gegeben.


Die Bedeutung eines vollständigen Teststopps für die nukleare Rüstungskontrolle

U. Reichert (Spektrum der Wissenschaft, Mönchhofstr. 15, 69120 Heidelberg)

Nukleare Versuchsexplosionen spielen für die Entwicklung von Kernwaffen eine wesentliche Rolle. Bestehende internationale Abkommen schränken zwar die Möglichkeiten von Tests ein, vermögen aber weder die qualitative Weiterentwicklung noch die Weiterverbreitung nuklearer Sprengsätze einzudämmen. Es wurde untersucht, welche Auswirkungen ein vollständiges Verbot von Kernwaffentests als Rüstungskontrollmaßnahme hätte. Sowohl in technischer als auch in sicherheitspoltischer Hinsicht ist dabei zu unterscheiden zwischen Staaten, die erstmals Kernwaffen entwickeln und jenen, die ihr vorhandenes Arsenal modernisieren wollen; rein technische Aspekte sind dabei eng mit militärischen und strategischen Vorgaben verknüpft.


Hydronukleare Tests und das Problem der Transparenz eines Vollständigen Teststopps

A. Schaper ( Hessische Stiftung für Friedens- und Konfliktforschung (HSFK), Leimenrode 29, 60316 Frankfurt)

Zur Zeit wird in Genf ein Teststopp, also Vertrag zum Verbot aller Nuklearexplosionen ausgehandelt. Zu den noch nicht geklärten Fragen gehört auch die Grenzziehung zwischen erlaubten und verbotenen technischen und wissenschaftlichen Aktivitäten. In den USA wird zum Beispiel von den Kernwaffenlabors favorisiert, in Zukunft sogenannte "hydronukleare Tests" durchzuführen. Hierbei wird ein Teil des in der Kernwaffe enthaltenen spaltbaren Materials durch passives Material, z.B. U-238, ersetzt und der Sprengkopf dann gezündet. Die Folge ist eine sehr viel geringere Energiefreisetzung. Es wird behauptet, daß diese Energie sehr genau eingestellt werden könne, z.B. auf genau 1 kg TNT-Äquivalent. Es läßt sich jedoch zeigen, daß das Risiko einer sehr viel größeren Energiefreisetzung hoch ist, da die freigesetzte Energie näherungsweise exponentiell von anderen Parametern, z.B. dem Neutronenmultiplikationsfaktor, abhängt. Daher ist zu vermuten, daß solche Experimente, falls sie nicht unter das Verbot fallen sollen, aus Sicherheitsgründen nur unterirdisch auf den bisherigen Testgeländen durchgeführt werden können. Dies wäre ein Hindernis für die für den Vertrag angestrebte Transparenz aller Aktivitäten.


Der Nachweis von nuklearen Sprengköpfen

W. Rosenstock ( Fraunhofer-Institut für Naturwissenschaftlich-Technische Trendanalysen, Appelsgarten 2, 53881 Euskirchen)

Für die Überprüfung von Abrüstungsmaßnahmen sowie zum Nachweis von kernwaffenfähigem Spaltmaterial in Behältern, die aus Sicherheitsgründen nicht geöffnet werden können, kommen nur zerstörungsfreie Techniken in Frage. Die verschiedenen zerstörungsfreien Möglichkeiten zum Nachweis und zur Identifizierung ungezündeter nuklearer Sprengköpfe werden diskutiert. Dabei wird zwischen passiven und aktiven Nachweismethoden unterschieden: Mit Hilfe der passiven Methoden werden kernwaffenspezifische Eigenschaften ohne äußere Einwirkung auf den nuklearen Sprengkopf nachgewiesen; mit Hilfe der aktiven Methoden erfolgt dieser Nachweis durch äußere Einwirkung (z.B. Bestrahlung). Unsere Abschätzungen zeigen, daß insbesondere der Nachweis der Kernstrahlung aus dem nuklearen Sprengstoff eine Identifizierung ermöglicht. Daher wird im folgenden über experimentelle Untersuchungen zum Nachweis und zur Induzierung dieser Kernstrahlung an Modellen berichtet. Die Gamma-Strahlung aus dem nuklearen Sprengstoff ist niederenergetisch und läßt sich leicht abschirmen bzw. ist bereits konstruktionsbedingt abgeschirmt. Wesentlich durchdringungsfähiger sind Neutronen aus spontaner bzw. induzierter Spaltung. Hier ist ein Nachweis selbst hinter Betonmauern noch möglich.


Analyse von sichergestelltem Kernmaterial

L. Koch, R. Schenkel, J. van Geel (Europäisches Institut für Transurane, Karlsruhe)

Seit Anfang der neunziger Jahre wurden in verstärktem Ausmaß Fälle illegalen Handels von radioaktiven Stoffen und von Kernmaterial entdeckt. Im Rahmen eines Notenaustausches zwischen der Europäischen Kommission und der Bundesregierung vom Mai 1992 wurde vereinbart, daß das Europäische Institut für Transurane im Rahmen der Maßnahmen zur nuklearspezifischen Gefahrenabwehr seine speziellen Einrichtungen und sein Know how bei der Analyse und zur Identifikation solchen Materials zur Verfügung stellt. Der Vortrag wird auf die wissenschaftlich-technischen Methoden eingehen und einige spezifische Problemstellungen erörtern, die das Institut bei der Durchführung dieser Aufgaben zu bewältigen hatte.